The Invisible Library

Irene ist Bibliothekarin, doch nicht in einer gewöhnlichen Bibliothek. Die, für die sie arbeitet, liegt zwischen unzähligen Parallelwelten, und Irene und ihre Kollegen haben die Aufgabe, dem Bestand ganz besondere Bücher hinzuzufügen, was nicht selten Gefahr für Leib und Leben mit sich bringt. Gerade von einer dramatischen Buchbeschaffungsmission zurückgekehrt, findet Irene sich mit einer neuen betraut, die noch weitaus riskanter klingt: Aus einem alternativen viktorianischen London voller Feen, Vampire, Werwölfe und schräger Technik soll ein Märchenbuch besorgt werden, das offenbar schon seinen Vorbesitzer das Leben gekostet hat. Irenes alte Rivalin Bradamant ist erpicht darauf, ihr den Auftrag abzujagen, und zu allem Elend soll Irene auch noch den undurchsichtigen Kai als Auszubildenden mitnehmen und betreuen. In London angekommen, müssen die beiden erkennen, dass es andere ebenfalls auf das Buch abgesehen haben – darunter der finstere Alberich, ein abtrünniger Bibliothekar, der über Leichen geht, um seinen Willen durchzusetzen …
Vor allem zwei Dinge machen Genevieve Cogmans The Invisible Library attraktiv und zu einer über weite Strecken amüsanten Lektüre: Der fabulierfreudige Weltenbau, der ein klassisches Steampunk-London mit Luftschiffen und übernatürlichen Wesen um herrlich unerwartete Details wie ein zum politischen Schwergewicht aufgestiegenes Liechtenstein ergänzt, und die quirlige Figurenriege.
Besonders Irene – halb Agentin, halb Gelehrte und wie alle Angehörigen der Bibliothek einer besonderen Magie kundig, die durch präzise Sprache wirkt – ist eine ansprechende Heldin und hat in der gleichermaßen zupackenden Bradamant eine interessante Gegenspielerin (und gelegentlich widerwillige Verbündete). Ein wenig bedauerlich ist, dass Cogman offenbar auf eine schon zu oft gesehene Art von Dreiecksverhältnis hinarbeitet, wenn sie mit Kai und dem weltläufigen Privatdetektiv Vale gleich zwei Männer in Stellung bringt, die ihre Protagonistin unwiderstehlich findet (auch wenn in diesem Band in der Hinsicht noch nicht allzu viel passiert). Immerhin sind die beiden aber auch aus sich heraus spannende Figuren: Kai ist weitaus mehr als der in den Dienst der Bibliothek gepresste jugendliche Gauner, als der er zunächst eingeführt wird, und Vales prononcierte Abneigung gegen Magie macht seine Annäherung an Irene kompliziert.
Ohnehin wird manches, was erst klar erscheint, im Laufe der Geschichte infrage gestellt, so auch die Rolle der Bibliothek selbst, die mit ihren strikten Hierarchien und inneren Machtkämpfen zunehmend dystopische Züge gewinnt und vielleicht gar nicht so edlen Zwecken dient, wie Irene gern glauben möchte.
Hier gäbe es also viel auszuloten, aber man merkt dem Roman deutlich an, dass er gezielt als Reihenauftakt konzipiert ist: Es wird zwar eine Fülle von Fragen angerissen, aber kaum eine befriedigend beantwortet. Während die geschilderte Handlungsepisode leidlich in sich abgeschlossen ist, bleibt auf der übergeordneten Ebene vieles offen und soll wohl dazu verlocken, zu den Fortsetzungen zu greifen.
Als Einzelband betrachtet ist das Buch etwas zu sehr auf flotte Lesbarkeit getrimmt. Wann immer ein Gespräch interessant zu werden droht, schlägt unweigerlich die nächste Actionszene in Form angriffslustiger mechanischer Kreaturen, fremdbestimmter Alligatoren oder wildgewordener Silberfischchen zu (wobei hier und da auch auf Ekeleffekte gesetzt wird). Langeweile kommt so zwar nicht auf, aber nach einer Weile ist das Schema doch vorhersehbar und man wartet ungeduldig darauf, dass die neueste Gefahr abgehakt wird.
In gewisser Weise stellt sich das Buch also damit selbst ein Bein, dass es so bereitwillig die auf äußeren Ereignissen fußende Daueraufregung bietet, die vielen Lesern mitreißend erscheint. Wenn der Handlung und den Charakteren mehr Atempausen vergönnt wären, hätte vielleicht ein schönerer Roman mit mehr Tiefgang entstehen können, der über reine Unterhaltung hinausgekommen wäre. Da die Figuren und die Welt nett geschildert sind, ist das kein zwingender Grund, nicht zum zweiten und dritten Band zu greifen, doch leises Bedauern über das zugunsten einer einfachen Erfolgsformel verschenkte Potential bleibt dennoch.

Genevieve Cogman: The Invisible Library. London, Tor, 2015, 329 Seiten.
ISBN: 9781447256236


Genre: Roman