Wie war Ihr Tag, Caesar? Eine römische Kulturgeschichte in Interviews

Karl-Wilhelm Weeber ist seit langem für seine Veröffentlichungen zur römischen (Kultur-)Geschichte bekannt. Seit einigen Jahren legt er dabei neben klassischen Sachbüchern auch immer wieder Werke vor, die eher auf Humor und Unterhaltsamkeit abzielen (so etwa seine „Zeitreiseführer“ nach Rom und Pompeji, die auf der Fiktion beruhen, sich an ein römerzeitliches Publikum zu richten). In Wie war Ihr Tag, Caesar? nutzt er die in der Antike eigentlich unbekannte Textgattung des Interviews, um in fiktiven Gesprächen dem heutigen Leser Gestalten des alten Rom nahezubringen.
Wie viel Freude man daran hat, steht und fällt damit, ob man sich überwinden kann, über die bewusst modern gehaltene Sprache hinwegzulesen, die den historischen Personen in den Mund gelegt wird. Weeber ist in seinem Vorwort bemüht, jeder Kritik daran vorab den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Die interviewten Personen sprechen Deutsch – und zwar kein künstlich latinisiertes, sondern das Deutsch, das sie heute sprächen (…). Deshalb sind Begriffe wie ‚Job‘ oder ’sich outen‘ keine Fremdkörper.“
Ob das in jedem Fall verhindern kann, dass einem die Haare zu Berge stehen, wenn man über einen Ausdruck stolpert, den man als viel zu modern empfindet, sei dahingestellt (besonders, da sich trefflich darüber streiten lässt, inwieweit Sprache und Denken einander bedingen, so dass die Verwendung manch eines anachronistischen Worts vielleicht auch ahistorische Gedankengänge unterstellt). Aber spätestens, wenn Caesar auf die Frage nach ganz speziellen gallischen Widerständlern „Asterix? Kenne ich nicht“ äußern darf, muss wohl jeder ein wenig schmunzeln. Das Stichwort „Asterix“ ist vielleicht nicht das schlechteste, um Weebers Ansatz zu umreißen: Es geht ihm in diesem Buch nicht um eine strikt realistische Darstellung einer fernen Epoche, sondern darum, die Römerzeit durch eine (Über-)Betonung der Analogien zur Moderne für ein breites Publikum unmittelbarer zu erschließen, als es in einem reinen Sachbuch möglich wäre. Wenn man sich bereitwillig auf diese Vorgehensweise einlässt (oder sich auch nur zähneknirschend damit abfindet), wird einem ein durchaus unterhaltsamer und mit zahlreichen spannenden Details gespickter Ausflug ins Alte Rom geboten, bei dem man auf bekannte wie unbekannte, historisch belegte wie fiktive Gestalten trifft.
Die erste Hälfte des Buchs nehmen dabei mit den „Prominenten“ historische Persönlichkeiten ein, deren Leben relativ gut dokumentiert ist: Neben dem Titelhelden Caesar werden etwa auch Cato der Ältere, Plinius der Jüngere, die übel beleumundete Kaisergattin Messalina oder Cornelia, die Mutter der Gracchen, interviewt. Die „Weniger Prominenten“ der zweiten Buchhälfte umfassen neben Personen, die nur über ihre Grabinschriften oder kurze Erwähnungen in historischen Texten dokumentiert sind (wie etwa die Ärztin und Hebamme Valeria Verecunda oder der Räuberhauptmann Bulla Felix), auch völlig fiktive Figuren, die für bestimmte Menschentypen insbesondere der Unterschicht stehen, aus der Individuen aufgrund der Quellenlage kaum noch fassbar sind.
Indem Weeber diese Gestalten Fragen über ihren Tag (und ihr Leben allgemein) beantworten lässt, kann er ein buntes Panorama der römischen Kulturgeschichte ausbreiten, das eine Fülle von Informationen zu Politik, sozialen Beziehungen, Arbeitsleben und Freizeitgestaltung in verschiedenen Epochen der römischen Geschichte bietet. Hier und da werden die Fakten naturgemäß um Extrapoliertes oder Spekulatives erweitert, aber dank Weebers umfangreicher Kenntnisse immer auf solider Basis. Dem breitgefächerten Querschnitt durch die Gesellschaft, den er dabei vorstellt, ist es zu verdanken, dass man, auch wenn man schon einiges über die Antike weiß, noch etwas über Einzelheiten dazulernen kann, über die man sich bisher vielleicht keine Gedanken gemacht hat – wer, der kein Experte für antike Wirtschaftsgeschichte ist, hat sich z.B. schon näher mit den Vorgängen in einem Berufskollegium der Sandalenschuster befasst?
Das romanhaft Hinzuerfundene reißt einen dabei manchmal emotional fast stärker mit als das historisch Belegte. Wenn etwa die aus Graffitti in Pompeji bekannte Wirtshaussklavin Iris als Kellnerin und Zwangsprostituierte geschildert wird, deren Lebenstraum die Eröffnung einer eigenen Kneipe ist, erhält das Gespräch mit ihr, das um 75 n.Chr. angesiedelt ist, einen leicht bitteren Beigeschmack, sofern man sich bewusst macht, dass sie wohl eher wenige Jahre später beim Vesuvausbruch ums Leben kommen wird, als je die ersehnte Freiheit und berufliche Unabhängigkeit zu erleben.
Aber vielleicht liegt gerade in der Erzeugung von Mitgefühl – und sei es mittels einer Kunstfigur! – die Leistung von Weebers Buch. In seiner augenzwinkernden Herangehensweise schärft es ungemein das Bewusstsein dafür, die alten Römer trotz aller Eigenheiten ihrer Kultur, die uns heute fremd oder ablehnenswert erscheinen mögen, auch und vor allem als Mitmenschen zu empfinden und ernstzunehmen. Und das ist eine Perspektive, die einem eigentlich bei der Beschäftigung mit jeder historischen Epoche nur weiterhelfen kann.

Karl-Wilhelm Weeber: Wie war Ihr Tag, Caesar? Eine römische Kulturgeschichte in Interviews. Theiss/WBG, 2014, 176 Seiten.
ISBN: 978-3806229448


Genre: Geschichte