Jesus. Leben und Wirkung

Für die religiösen Überzeugungen unzähliger Menschen spielt Jesus seit zwei Jahrtausenden eine zentrale Rolle, aber ob und in welchem Maße man Aussagen über die historische Persönlichkeit treffen kann, die zum Ausgangspunkt so vieler Glaubenssätze und Legenden wurde, ist in der Forschung eine ewige Streitfrage. Der evangelische Theologe Jens Schröter beantwortet sie eher optimistisch, und so spürt er in Jesus. Leben und Wirkung dem historischen Jesus nach und versucht zu ermitteln, wie viel von einem realen Kern hinter allen späteren Deutungen und Zuschreibungen heute noch fassbar ist.

Nach einem einleitenden Überblick über die Forschungssituation befasst sich das Kapitel Biblische und außerbiblische Quellen mit den Texten, die uns über Jesus zur Verfügung stehen. Neben den Evangelien (von denen laut Schröter interessanterweise oft das spät entstandene Johannesevangelium historisch wahrscheinlichere Informationen liefert als die drei synoptischen Evangelien) und weiteren Büchern des Neuen Testaments sind das zum einen die Apokryphen, zum anderen aber jüdische und pagane Schriften der Antike. Unter dem Stichwort Indirekte Zeugnisse stellt Schröter zudem archäologische Funde vor, die zwar nicht unmittelbar in Bezug zu Jesus stehen, aber – wie etwa ein im See Genezareth gefundenes Boot aus dem 1. Jahrhundert – die Lebenswelt fassbar machen, in der er sich bewegte.

Folgerichtig erhält Der geschichtliche Kontext auch ein eigenes Kapitel, in dem einerseits mit dem damaligen Judentum der geistesgeschichtliche Hintergrund des Auftretens Jesu erläutert wird, während andererseits ein Abschnitt die Lebens- und Herrschaftsverhältnisse in Galiläa schildert, mithin also der Region, in der Jesus nicht nur aufwuchs, sondern auch als Wanderprediger umherzog und Anhänger fand. Die Grundzüge des Wirkens Jesu beleuchtet daher auch das nächste Kapitel, das nicht nur das Verhältnis Jesu zu dem ebenfalls als Prediger aktiven Johannes dem Täufer unter die Lupe nimmt, sondern auch mit dem Begriff der „Gottesherrschaft“ eine zentrale Vorstellung aus den Lehren Jesu einführt und tiefer in die biblischen Texte einsteigt, um zu überprüfen, welche Aussagen tatsächlich auf Jesus selbst zurückgehen könnten, statt ihm nur zugeschrieben worden zu sein.

Wie das nächste Kapitel, Die Erneuerung Israels, vertiefend deutlich macht, sind nämlich spätere christliche Deutungen nicht unbedingt immer identisch mit dem, was Jesus bezweckt haben könnte, und mit seinem Selbstverständnis, in dem die Darstellung als „Sohn des Menschen“ bzw. „Menschensohn“ eine zentrale Rolle spielte. Was seine theologischen Aussagen betraf, bewegte er sich aber durchaus innerhalb der Spielräume, die das Judentum seiner Zeit kannte, so dass der Konflikt, in den er mit den religiösen Autoritäten geraten zu sein scheint, nicht allein mit seinen Lehren erklärbar ist. Die Passionsereignisse und der Tod in Jerusalem – so der Titel des letzten größeren Kapitels – zeigen laut Schröter vielmehr, dass er als politische Bedrohung wahrgenommen wurde: von den Römern als Unruhestifter, von der jüdischen Priesterschaft vermutlich deshalb, weil diese ein blutiges Vorgehen der römischen Besatzungsmacht gegen weitere Kreise für den Fall fürchtete, dass er und seine Anhänger tatsächlich einen Aufstand anzetteln könnten, so dass eine Positionierung gegen ihn Selbstschutz in einer als bedrohlich empfundenen Lage war. Unter dem Stichwort Jesus und die Entstehung des christlichen Glaubens wird abschließend noch knapp ein ansatzweiser Ausblick auf die frühchristliche Sicht auf Jesus gegeben.

Durch seine klare Gliederung und allgemeinverständliche Sprache, aber auch durch das hilfreiche Kartenmaterial und die auflockernden Abbildungen eignet sich das kurze Buch gut als Einstieg in die historische Jesusforschung für alle Interessierten. Aber auch diejenigen, die sich mit dem Thema schon befasst haben, können hier gerade dank der Einbeziehung der archäologischen Funde und der genauen Textarbeit noch neue Aspekte entdecken.

Jens Schröter: Jesus. Leben und Wirkung. München, C. H. Beck, 2020, 128 Seiten.
ISBN: 978-3-406-75601-6

 


Genre: Biographie, Geschichte