Bei manchen Büchern freut man sich besonders, wenn man am Entstehungsprozess beteiligt war, und Sameena Jehanzebs Siebensteinthal, bei dem ich Lektorat und Korrektorat übernehmen durfte, gehört für mich ohne jede Frage dazu.
Schon äußerlich dank der aus der Feder der Autorin stammenden Illustrationen ein Schmuckstück, führt der spannende Episodenroman mehrere zunächst nur locker verbunden wirkende Geschichten zu einem großen Ganzen zusammen, das in der Rückschau vieles noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.
Elemente des Phantastischen finden sich in allen Episoden, und Sameena Jehanzeb nutzt dabei die ganze Bandbreite des Genres, von grausigem Horror über handfeste Abenteuer bis zur poetischen und zarten Liebesgeschichte.
Angesiedelt in dem titelgebenden sagenumwobenen Tal voll pittoresker Ortschaften und verwunschener Winkel spielen die Geschichten zwar in unserer Gegenwart, doch auch abgesehen von allen Rückblicken auf Historisches (wie etwa das Schicksal einer unangepassten und damit höchst verdächtigen Frau zur Zeit der Hexenverfolgung) lauert unter der harmlosen Oberfläche viel Archaisches, Unheimliches und Mythisches, ob nun mordlüsterne Geheimbünde in bester Folk-Horror-Manier, Geister der jüngeren Vergangenheit oder Fabelwesen, die unerkannt unter Menschen leben und nur im Bedarfsfall wortwörtlich die Zähne zeigen. Allerdings sind nur selten die verrufenen Monster diejenigen, die man am meisten fürchten muss: Oft erweist sich der Mensch als das viel größere Ungeheuer.
Wer schon länger ein Fan der Autorin ist, darf sich übrigens auf eine besondere Überraschung freuen. Auch wenn Siebensteinthal sich unabhängig von ihren älteren Werken lesen lässt, gibt es durchaus Bezüge dazu, und falls man sich schon immer gefragt hat, was eigentlich aus der in Winterhof und der zugehörigen Kurzgeschichte Runa auftretenden Runa geworden ist, findet man hier die lesenswerte Antwort darauf.
Auch sonst gibt es, wie von Sameena Jehanzeb gewohnt, allerlei mal mehr, mal minder augenzwinkernde Anspielungen auf Literatur und Popkultur, so etwa in der Namensgebung: Wenn eine vermeintlich harmlose alte Dame ausgerechnet Erna Kafka heißt, sollte einen das vielleicht stutzig machen …
Genaues Lesen (und Hinschauen) empfiehlt sich ohnehin, denn die Verbindung zwischen den einzelnen Geschichten bildet das geheimnisvolle Buch eines Heimatforschers, der im frühen 20. Jahrhundert den Besonderheiten des Siebensteinthals nachspürte. Auszüge seiner nicht immer ganz der literarischen Realität entsprechenden Textkompilation sind den einzelnen Kapiteln vorangestellt, und wer hier die Augen aufhält, kann selbst gut miträtseln, was sich wohl wirklich hinter den oft schaurigen Sagen verbirgt.
Aber auch Leseratten, die nicht gern Detektiv spielen, kommen voll auf ihre Kosten, denn Lust, im Siebensteinthal im edlen Resort „Zum Hügel“ Urlaub zu machen, sich im Café „Ayans Cook-Tales“ zu entspannen, einen Ausflug zur Ruine Rabenstein zu unternehmen oder sich im Laden „Zeitlose Kostüme“ für die nächste Halloween-Party stilecht einzudecken, bekommt man bei der Lektüre auf alle Fälle.
Apropos Halloween: Passend für ein Buch, das einiges an Grusel und Gespenstischem zu bieten hat, erscheint Siebensteinthal am 1. Oktober, ist aber schon jetzt überall vorzubestellen, wo es Bücher gibt. Ich kann nur empfehlen, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen!
Sameena Jehanzeb: Siebensteinthal (Der Ruf der Märchenlande 2), Bonn, Selbstverlag, 2024, 208 Seiten.
ISBN: 978-3-98942-741-9