Die Begleitbände zur Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle präsentieren einerseits in prächtigen Fotos die archäologischen Funde, die man im Museum im Original bewundern kann, können andererseits aber auch als kompakte Einführungen in die jeweils behandelte Epoche dienen. Mit der neuesten Veröffentlichung Kulturenstreit nehmen sich Arnold Muhl und Ralf Schwarz des Themas Frühmittelalter zwischen Harz und Elbe (so der Untertitel) an.
Nach dem Ende des bereits in einem eigenen Band der Reihe vorgestellten Thüringerreichs waren die Verhältnisse auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt lange Zeit kulturell und religiös durchaus divers: Die Koexistenz von Sachsen, Slawen, Thüringern und Franken war nicht immer unbedingt friedlich, und pagane Überzeugungen hielten sich noch eine ganze Weile in Konkurrenz zu und neben dem erstarkenden Christentum. Eine bewegte Epoche voller Konflikte also, deren Abschluss die Autoren erst in der Thronbesteigung Heinrichs I. sehen, dessen Herrschaft eine Stabilisierung des Königreichs und den Übergang zu dem, was man landläufig unter „Mittelalter“ versteht, begründet habe.
Um die vorher doch recht heterogene Situation abzubilden, ist das Buch nach verschiedenen kulturellen Gruppen geordnet, die in der Region eine Rolle spielten, mögen sich auch manche, wie etwa die Awaren, nicht dauerhaft dort etabliert haben. Nach einer kurzen Einführung in den insbesondere für den Schmuck der Zeit so prägenden Tierstil folgen daher Kapitel zu Langobarden, Sachsen, „Nordleuten“ (Skandinaviern), Awaren, Slawen, Thüringern und Franken, während zum Abschluss unter der Überschrift Geeintes Königreich ein kurzer Ausblick auf die einsetzende ottonische Epoche geboten wird. Obwohl aufgrund der Vielzahl der verschiedenen betrachteten Aspekte und der Dominanz der Bildanteile die jeweiligen Texte relativ kurz ausfallen, referieren sie doch nicht nur Bekanntes, sondern räumen auch mit Vorurteilen auf. So erfährt man z. B. im Sachsenkapitel, dass Spuren von vermeintlichem Grabraub nicht immer auf kriminelle Aktivitäten hindeuten müssen, sondern die Forschung heute davon ausgeht, dass oft auch nur Angehörige der Verstorbenen die Gräber wieder öffneten, um bestimmte Gegenstände an sich zu nehmen (ein Vorgehen, das einen spontan an einzelne Passagen aus den natürlich erst ab dem Hochmittelalter entstandenen altnordischen Sagas erinnert, in denen es auch vorkommt, dass Nachkommen sich an den Grabhügeln von Eltern oder ferneren Vorfahren bedienen).
Den Hauptreiz des Buchs macht aber die Überfülle von Abbildungen der Fundstücke aus, von Grabinventaren aller Art über Spektakuläres wie den Reiterstein von Hornhausen bis hin zu einem Feuerstahl mit witziger Inschrift in der Tauschierung. Für zusätzliche Auflockerung sorgen die anschaulichen Rekonstruktionen des Künstlers Karol Schauer, aber hier und da auch Wiedergaben historischer Dokumente, so etwa der aus heutiger Sicht durchaus amüsanten bildlichen Darstellung einer Taufe aus einer mittelalterlichen Handschrift (es wird netterweise ein Handtuch bereitgehalten, damit der Täufling sich nach erfolgter Eintauchung auch abtrocknen kann). Die Abbildungsnachweise sind dabei durchgehend gut und gründlich, so dass alle, die nicht nur Freude an den hübschen Illustrationen haben, sondern sich aus tiefergehendem oder gar fachlichem Interesse mit ihnen auseinandersetzen, die Möglichkeit haben, dem jeweiligen Ursprung nachzuspüren.
In den Text sind, wie aus früheren Bänden gewohnt, auch immer wieder ausführliche Quellenzitate eingebunden, teilweise nur in Übersetzung, im Einzelfall (so beim Altsächsischen Taufgelöbnis) allerdings zusätzlich auch in Originalsprache. Die direkte Konfrontation mit dem vorgestellten Zeitalter wird dem Lesepublikum also nicht nur über die Funde, sondern in kleinen Auszügen auch durch die Schriftquellen ermöglicht, was zu dem Eindruck von Greifbarkeit und Unmittelbarkeit, der die ganze Reihe prägt, entscheidend beiträgt. Wer einen ersten Einblick in eine Region an der Peripherie des Frankenreichs erhaschen oder seine Kenntnisse vertiefen möchte, ist daher mit dem Kulturenstreit gut beraten.
Arnold Muhl, Ralf Schwarz: Kulturenstreit. Frühmittelalter zwischen Harz und Elbe. Hrsg. von Harald Meller. Begleithefte zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle Bd. 9. Halle, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, 2023, 256 Seiten.
ISBN: 978-3-948618-57-5