Als der Zwergenschmied Goswin gemeinsam mit seinem Freund, dem Magier Al-Qarim, für einen künftigen Herrscher das Zauberschwert Sturmlied schmiedet, ahnt er noch nicht, dass die Waffe oder vielmehr ihr Verlust sein Leben verändern soll. Doch ein Überfall, bei dem Al-Qarim getötet und das Schwert geraubt wird, lässt Goswin auf der Burg Lar Elien stranden. Noch kaum von seinen Verletzungen genesen, freundet er sich mit Andert, dem jüngsten Sohn des Burgherrn Graf Willomar, an. Das Kind hat einen Ziehvater bitter nötig: Denn bei Anderts Geburt starb einst Willomars Frau, und seitdem wird der Junge von seinem Vater und seinen beiden älteren Brüdern bestenfalls vernachlässigt, oft aber auch schlecht behandelt. Dank Goswin und des neu auf die Burg gekommenen Waffenmeisters Taril, der ein düsteres Geheimnis mit sich herumträgt, wächst Andert in den folgenden Jahren dennoch nicht ohne Fürsorge auf und ist auf dem besten Weg, innerlich wie äußerlich ein wahrer Ritter zu werden, der gleichwohl immer noch vergeblich nach der Anerkennung seines Vaters strebt. Doch da zeigt sich unversehens, dass Sturmlied vielleicht doch nicht endgültig verloren ist und wiedergewonnen werden könnte …
Hannah Steenbocks Roman Der Ritter von Lar Elien bietet mit vielen Zwischentönen und abseits glattgebügelter Formeln erzählte Fantasy in einer detailliert ausgemalten, mittelalterlichen Welt, deren Kämpferalltag zwischen Waffenübungen und Pferdeversorgung lebensnah geschildert ist und sich durch originelle Details wie eine ganz eigenen Regeln gehorchende Heraldik, eine besondere Art von Turnier und eine spezielle Form des Ritterstands, in den man nicht ganz nach dem aus der realen Welt bekannten Muster erhoben wird, auszeichnet. In seiner atmosphärischen Dichte und seiner thematischen Schwerpunktsetzung erinnert das Buch bisweilen auf die beste Art an den ersten Weitseher-Band von Robin Hobb. Erscheint zunächst Goswin wie die Hauptfigur, verlagert sich der Fokus bald auf Andert, dessen Heranwachsen man mit einigen Zeitsprüngen in klug aneinandergereihten Episoden Stück für Stück miterlebt, bevor er sich, groß geworden, einer lebensgefährlichen Herausforderung nach der anderen stellen muss, um es schließlich gar mit einem Schwert mit sehr ausgeprägtem eigenen Willen (und noch einigen anderen ungewöhnlichen Eigenschaften) zu tun zu bekommen. Viel Action vom Kräftemessen aller Art über brutale Überfälle bis hin zum Ungeheuerkampf hat das Buch daher immer wieder in packender Form zu bieten, aber sie ist nicht einmal das Spannendste, denn die große Stärke liegt in den fein entwickelten Figuren und ihren komplexen Beziehungen untereinander.
Anderts Situation ist dabei durchaus interessant, denn obwohl er als Adelsspross in eine vordergründig privilegierte Stellung hineingeboren ist und damit Chancen hat, die anderen verwehrt bleiben, ist er aufgrund der unglücklichen Umstände seiner Geburt in seiner Familie in solch einem Maße der Außenseiter, dass er darauf angewiesen ist, Freunde und Verbündete zu finden, um durchzustehen, was ihm zugemutet wird. Umgekehrt wird er aber auch immer wieder selbst zum Helfer und Unterstützer, nicht nur für andere junge Leute wie den von seinen Kameraden schikanierten Wachsoldaten Fulchar oder einen zu Besuch weilenden Freiherrensohn, sondern in gewissem Maße auch für Taril, der zwar einerseits nicht nur in Sachen Kampf sein Lehrmeister ist, andererseits aber an einer tragischen Vergangenheit und einer großen Schuld zu tragen hat, die er ohne Anderts frische Perspektive darauf wohl schlechter bewältigen würde.
Ohnehin zeichnet sich Der Ritter von Lar Elien dadurch aus, dass bestimmte Motive in verschiedenen Handlungskontexten klug parallel entwickelt und in ihrer letztlichen Ausgestaltung kontrastiert werden, ob nun das der scheinbar nicht zu erringenden väterlichen Zuneigung und Billigung oder das des tatsächlichen oder nur drohenden Todes eines besten Freundes und der eigenen Verstrickung in die Umstände, die ihm zum Verhängnis werden. Dieses Netz aus großen und kleinen Geschichten läuft am Ende in einer klassisch als rite de passage gestalteten Bewährungsprobe für den frischgebackenen Ritter zusammen, die allerdings nicht die einzige ist, der er sich im Laufe des Romans stellen muss. Zimperlich springt Hannah Steenbock mit ihrem Protagonisten weder in körperlicher noch in psychischer Hinsicht um.
Ein Wermutstropfen bleibt nach dem großen Lektürevergnügen jedoch: Auch wenn Anderts Erlebnisse vorerst zu einem Abschluss gebracht werden, ist dieser nicht mehr als ein Zwischenschritt, denn viele Fragen sind am Ende noch offen, und aufgrund einer bestimmten Entwicklung hat man das Gefühl, dass das eigentliche Abenteuer hier erst beginnt. In der Tat ist Der Ritter von Lar Elien auch als Eingangsband einer Reihe konzipiert, doch laut Vorwort trotz der nicht allzu lange zurückliegenden Veröffentlichung schon im Jahr 2000 geschrieben. Da Hannah Steenbock sich derzeit eher auf ihre englischsprachigen Reihen zu konzentrieren scheint (was aufgrund des größeren internationalen Marktes auch verständlich ist), weiß man nicht so recht, ob man auf eine Fortsetzung der Geschichte um Andert noch hoffen darf. Falls es dauerhaft nur bei diesem einen Roman bleiben sollte, wäre das sehr schade.
Hannah Steenbock: Der Ritter von Lar Elien. Kiel, Buehsteppe Verlag, 2023 (E-Book).
ISBN: 979-8-2231-9345-6