Hexen, Halunken, Barbaren, Fabelwesen und höhere Mächte bevölkern die Fantasy seit jeher, aber wie düster die Welten, die sie durchstreifen, und ihre abenteuerlichen Erlebnisse sind, schwankt beträchtlich. The Little Cozy Book bietet eine Sammlung von Kurz- und Kürzestgeschichten, die, abgesehen von vier vorher unveröffentlichten Texten, zuerst im Onlinemagazin Wyngraf erschienen sind und überwiegend die hoffnungsvollen, sympathischen und alltäglichen Aspekte des Genres betonen.
Wie Herausgeber Nathaniel Webb in seinem Vorwort erläutert, geht die Idee, in Wyngraf eine Reihe von Flash Fiction zum Thema Cozy Fantasy zu veröffentlichen, ursprünglich auf eine scherzhaft gemeinte Geschichte von Frederick Sheilira zurück, die augenzwinkernd ausgerechnet das oft mit Pulp, Actionlastigkeit und einer zynischen Weltsicht assoziierte Subgenre Sword & Sorcery in einer doch eher freundlichen und idealistischen Cozy-Variante präsentiert und unerwartet ein großer Erfolg war.
Der so entstandene Text, The Cat and the Conerian, bildet dementsprechend auch den Auftakt der Anthologie und lässt einen Barbarenhelden entdecken, dass die in seiner Stammtaverne ansässige Katze in Nöten ist, wovor er natürlich nicht einfach die Augen (und Ohren) verschließen kann.
Etwas boshafter kommt Billable Hours for the Disputed Rights of the Chosen One von L Chan daher, eine sehr spezielle Anwaltsrechnung, die ihren Humor daraus gewinnt, juristische Terminologie (und überhaupt die Idee eines Vorgehens auf dem Rechtsweg gegen einen Rivalen) mit einem generischen Fantasyplot zu verknüpfen.
Up by the Gryphon von Jonathan Olfert dagegen verdient die Bezeichnung „cozy“ wieder voll und ganz, wenn ein in einem Unwetter im Haus eines Igels gestrandeter Mäusegauner nolens volens eine unerwartete Läuterung durchmacht.
Im Gegensatz dazu lebt The 57th Daughter von Neil Wilcox primär von der auch für alle Beteiligten unerwarteten Lösung, die die Titelfigur für die Bedrohung eines Dorfs durch einen Wassergeist findet.
George Jacobs schildert in A Stubborn Friend das Abenteuer eines Imkers, dessen Weg zu einer Hochzeit im Nachbardorf nicht ganz so verläuft wie geplant, aber natürlich – da der grummelnde Held Hamsten trotz alles Fluchens ein gutes Herz hat – nicht völlig ins Verderben führt.
Jo Miles spielt in The Skycalled Will Save the World mit der Genrekonvention der Prophezeiung, die eine spezifische Person zur Weltrettung auserwählt, hier aber innerhalb der Geschichte sehr gezielt eingesetzt wird, wie die Erzählerfigur zu ihrem Entsetzen erfahren muss.
Sam Lesek lässt in On a Snowy Evening ein schauriges Totenheer aufziehen – aber zum Glück nicht nur für den kleinen Jungen, der es erspäht, weiß seine alte Großtante ganz genau, wie in einer solchen Situation zu verfahren ist, und so nimmt das, was auch zu blankem Horror getaugt hätte, eine sehr liebenswerte Wendung.
Up the River, Over the Mountains, Across the Sea von Jenna Hanchey erörtert melancholisch, wenn auch nicht ohne Hoffnung die Frage nach der nicht immer eindeutig männlichen oder weiblichen Geschlechtsidentität. Kann eine Fee hier für eine vom Leiden unter gesellschaftlichen Vorurteilen und Unverständnis gebeutelte Person Abhilfe schaffen?
Leichtfüßiger und heiterer kommt Miranda Rays Knight of the Wandering Spring daher. Ein Drache und ein Ritter sind hier Verbündete und nutzen die Eigenschaften des Drachen für ein spezielles Dienstleistungsangebot, erleben dabei aber eine handfeste Überraschung.
Amüsant geht es auch in Toby Anthony Rossers The Witch Box zu, allein schon durch die ebenso witzige wie sozialkritische Erzählstimme der kriminellen Hilfe, die ein windiger Geschäftsmann anzuheuern versucht, um den titelgebenden Gegenstand zu stehlen.
J. Thomas Howards The Flower Knight handelt von einem kleinen Jungen aus einfachsten Verhältnissen, der in seinem kindlichen Spiel die Ritterrolle etwas zu ernst nimmt und gegen einen übermächtigen Gegner als wackerer Beschützer einer Frau auftritt – mit weitreichenden Folgen.
Sheila Massie lotet in Iai, Iai, Mele (Listen, Listen, Child) den Umgang unterschiedlicher Generationen und ein- und derselben Figur in verschiedenen Lebensaltern mit der Überlieferung einer scheinbar untergehenden Kultur und verheerenden Wetterphänomenen aus. Parallelen zu Problemen unserer heutigen Welt lassen sich hier sehr deutlich ziehen.
In See No Evil hat die junge Cecilia es in ihrer magischen Ausbildung nicht leicht, weil sie nicht so wie alle anderen sieht und darauf von ihrer Umwelt wenig Rücksicht genommen wird. Doch in einer besonderen Situation erweist sich die Behinderung dann sogar als ungeahnter Vorteil.
Etwas unheimlicher wird es in Ian Martínez Cassmeyers folktalehaft anmutender Geschichte Tata Duende’s Soothing Song, denn hier lauern im Wald Gefahren, denen die junge Herrera nur mithilfe eines übernatürlichen Wesens entgehen kann.
Jess Hyslop dagegen ist in The Wood-Folk Do Not Want to Marry You alles andere als bemüht, einen authentischen Märchen- oder Sagenton zu treffen, sondern zieht allerlei Motive, die für die insbesondere der Romantasy populären Liebesgeschichten zwischen einer Menschenfrau und einem Elfenwesen typisch sind, gnadenlos durch den Kakao.
Bei Stew Shearer ist The Sword of Our Fathers das Objekt der Begierde, um das zwischen einem alten Haudegen und einem idealistischen Jüngling ein Duell ausgefochten wird, das keinen so üblen Ausgang nimmt, wie man zunächst befürchten könnte.
Ziggy Schutz führt mit der Überschrift A Wolf in Sheep’s Clothing gezielt ein wenig in die Irre, denn was sich sonst als „Wolf im Schafspelz“ übersetzen ließe, ist hier wörtlicher zu nehmen und Teil einer sanften Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, die eben jeweils genau das sind, was die Überschrift verrät.
In Simon Kewins The Great Spell steht der alte Magier Feyrlin kurz vor der seit langem angestrebten Weltrettung. Doch ein entscheidendes Element zu seinem Zauberspruch fehlt ihm noch und ist nur durch eine ganz besondere Erkenntnis zu erlangen.
Nathaniel Webbs Beitrag Iron Harvest führt ins arkadische Idyll einer ländlichen Gemeinschaft, in der Krieg allenfalls noch ein fernes Gerücht ist und Bauer Boric etwas, das er auf seinem Acker findet, entsprechend erst nicht einordnen kann.
Eine ganz andere Welt schildert Jennifer Hudak in Fragile: Zwei sehr gegensätzliche Frauen, die für einen sonderbaren Zirkus arbeiten, finden hier zueinander, und eine von ihnen lernt nicht nur mit ihrer äußerlichen Zerbrechlichkeit umzugehen, sondern auch zu erkennen, dass ihr eigener Wert sich nicht auf ihre Nützlichkeit beschränkt.
Dawn Vogels Erzählerfigur in The Truth of Their Tunes nimmt ganz spezielle Melodien wahr und wird so in einer an ein Rollenspielsetting gemahnenden Fantasytaverne zur helfenden Instanz für einen buntgemischten Abenteurertrupp.
The Knowing von Jamey Toner ist einer der düstersten Beiträge der Anthologie, und inwieweit der harte Kampf eines Barden gegen eine Dämonin noch so recht unter „Cozy Fantasy“ fällt, ist sicher Geschmackssache, werden hier die Elemente, die typische coziness ausmachen, doch eher als Waffe eingesetzt denn um ihrer selbst willen geschildert.
In The Last Night von Gregory Kilcoyne wiederum sind diese Elemente quasi schon die Handlung, die sich auf die Schilderung eines speziellen Rituals, das die Wesen eines ganzen Waldes zusammenströmen lässt, beschränkt.
Cora Buhlert zeigt in A Cry on the Battlefield wieder einmal, dass ihr Barbarenfiguren liegen. Hier ist es der Krieger Jalkar, der auf einem Schlachtfeld eine überraschende Entdeckung macht, eine – zumindest im einen Auge seines Söldnerkameraden Skuffcor – ungewöhnliche Entscheidung trifft, wie er weiter damit verfahren soll, und so unerwartet viel Wärme in eine ansonsten ziemlich finstere Lage bringt.
Der Protagonist von Patricia Millers Dreaming of Violets hingegen hat seine Kämpfertage schon längst hinter sich, sieht den Krieg mittlerweile sehr kritisch und hadert damit, dass eines seiner Kinder sich eine militärische Laufbahn nicht hat ausreden lassen – kann das ein gutes Ende nehmen?
Auch in She Waits, Having Breathed Love on the Salt Air von Amanda Cook geht es um die Sorge um einen geliebten Menschen, der sich fern der Heimat Gefahren stellen muss, aber hier wird mit vielen Odyssee-Anklängen ganz bewusst Magie gewirkt, um eine glückliche Rückkehr zu garantieren.
Banaleren Problemen sieht sich in L. D. Whitneys Moving Day der starke Barbar Hrok gegenüber: Ein Umzug steht an, aber obwohl er selbst stets hilfsbereit ist, fällt es ihm alles andere als leicht, die nötige Unterstützung zu organisieren …
In Tonfall und Thematik decken die verschiedenen Beiträge also eine große Bandbreite ab, aber fast allen ist tatsächlich gemeinsam, dass sie Welten schildern, in denen man sich durchaus wohlfühlen könnte. Viele von ihnen kombinieren daneben Klassisches bis Nostalgisches mit einem Schuss Moderne (wie etwa einer merklichen Diversität hinsichtlich der sexuellen Orientierung oder dem Hinterfragen von Rollenzuschreibungen an ganze Fantasyvölker). Welche Geschichten zu den eigenen Favoriten zählen, hängt sicher in hohem Maße vom subjektiven Geschmack ab, aber eine gute Möglichkeit, viele verschiedene Federn der englischsprachigen Fantasy auf einmal kennenzulernen, ohne sich dabei durch ein dystopisches Szenario nach dem nächsten quälen zu müssen, bietet The Little Cozy Book auf alle Fälle.
Nathaniel Webb (Hrsg.): The Little Cozy Book. The Best of Flash Fiction from Wyngraf. Ohne Ort, Young Needles Press, 2023 (E-Book; auch als Taschenbuch erhältlich, ISBN der Printausgabe: 979-8-3900-1734-0).