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Jesus. Leben und Wirkung

Für die religiösen Überzeugungen unzähliger Menschen spielt Jesus seit zwei Jahrtausenden eine zentrale Rolle, aber ob und in welchem Maße man Aussagen über die historische Persönlichkeit treffen kann, die zum Ausgangspunkt so vieler Glaubenssätze und Legenden wurde, ist in der Forschung eine ewige Streitfrage. Der evangelische Theologe Jens Schröter beantwortet sie eher optimistisch, und so spürt er in Jesus. Leben und Wirkung dem historischen Jesus nach und versucht zu ermitteln, wie viel von einem realen Kern hinter allen späteren Deutungen und Zuschreibungen heute noch fassbar ist.

Nach einem einleitenden Überblick über die Forschungssituation befasst sich das Kapitel Biblische und außerbiblische Quellen mit den Texten, die uns über Jesus zur Verfügung stehen. Neben den Evangelien (von denen laut Schröter interessanterweise oft das spät entstandene Johannesevangelium historisch wahrscheinlichere Informationen liefert als die drei synoptischen Evangelien) und weiteren Büchern des Neuen Testaments sind das zum einen die Apokryphen, zum anderen aber jüdische und pagane Schriften der Antike. Unter dem Stichwort Indirekte Zeugnisse stellt Schröter zudem archäologische Funde vor, die zwar nicht unmittelbar in Bezug zu Jesus stehen, aber – wie etwa ein im See Genezareth gefundenes Boot aus dem 1. Jahrhundert – die Lebenswelt fassbar machen, in der er sich bewegte.

Folgerichtig erhält Der geschichtliche Kontext auch ein eigenes Kapitel, in dem einerseits mit dem damaligen Judentum der geistesgeschichtliche Hintergrund des Auftretens Jesu erläutert wird, während andererseits ein Abschnitt die Lebens- und Herrschaftsverhältnisse in Galiläa schildert, mithin also der Region, in der Jesus nicht nur aufwuchs, sondern auch als Wanderprediger umherzog und Anhänger fand. Die Grundzüge des Wirkens Jesu beleuchtet daher auch das nächste Kapitel, das nicht nur das Verhältnis Jesu zu dem ebenfalls als Prediger aktiven Johannes dem Täufer unter die Lupe nimmt, sondern auch mit dem Begriff der „Gottesherrschaft“ eine zentrale Vorstellung aus den Lehren Jesu einführt und tiefer in die biblischen Texte einsteigt, um zu überprüfen, welche Aussagen tatsächlich auf Jesus selbst zurückgehen könnten, statt ihm nur zugeschrieben worden zu sein.

Wie das nächste Kapitel, Die Erneuerung Israels, vertiefend deutlich macht, sind nämlich spätere christliche Deutungen nicht unbedingt immer identisch mit dem, was Jesus bezweckt haben könnte, und mit seinem Selbstverständnis, in dem die Darstellung als „Sohn des Menschen“ bzw. „Menschensohn“ eine zentrale Rolle spielte. Was seine theologischen Aussagen betraf, bewegte er sich aber durchaus innerhalb der Spielräume, die das Judentum seiner Zeit kannte, so dass der Konflikt, in den er mit den religiösen Autoritäten geraten zu sein scheint, nicht allein mit seinen Lehren erklärbar ist. Die Passionsereignisse und der Tod in Jerusalem – so der Titel des letzten größeren Kapitels – zeigen laut Schröter vielmehr, dass er als politische Bedrohung wahrgenommen wurde: von den Römern als Unruhestifter, von der jüdischen Priesterschaft vermutlich deshalb, weil diese ein blutiges Vorgehen der römischen Besatzungsmacht gegen weitere Kreise für den Fall fürchtete, dass er und seine Anhänger tatsächlich einen Aufstand anzetteln könnten, so dass eine Positionierung gegen ihn Selbstschutz in einer als bedrohlich empfundenen Lage war. Unter dem Stichwort Jesus und die Entstehung des christlichen Glaubens wird abschließend noch knapp ein ansatzweiser Ausblick auf die frühchristliche Sicht auf Jesus gegeben.

Durch seine klare Gliederung und allgemeinverständliche Sprache, aber auch durch das hilfreiche Kartenmaterial und die auflockernden Abbildungen eignet sich das kurze Buch gut als Einstieg in die historische Jesusforschung für alle Interessierten. Aber auch diejenigen, die sich mit dem Thema schon befasst haben, können hier gerade dank der Einbeziehung der archäologischen Funde und der genauen Textarbeit noch neue Aspekte entdecken.

Jens Schröter: Jesus. Leben und Wirkung. München, C. H. Beck, 2020, 128 Seiten.
ISBN: 978-3-406-75601-6

 


Genre: Biographie, Geschichte

Karl V.

Herr über ein Reich, in dem sprichwörtlich die Sonne nicht unterging, dem Katholizismus treu gebliebener Herrscher der Reformationszeit, Gründergestalt der spanischen Linie des Hauses Habsburg und durch seine freiwillige Abdankung im Kreis der Renaissancefürsten Europas eine Ausnahme – es sind viele Assoziationen, die sich mit Karl V. (1500 – 1558) verbinden. Für Heinz Schilling ist er jedoch auch und vor allem Der Kaiser, dem die Welt zerbrach (so der Untertitel der vorliegenden Biographie).

Die Betonung der Amtsbezeichnung hat dabei durchaus Methode. Denn obwohl Karls Leben von seiner Kindheit in Burgund an über zahlreiche Reisen und Kriegszüge, die ihn durch halb Europa und darüber hinaus führten, bis zu seinem Tod in der Abgeschiedenheit des spanischen Klosters Yuste gut dokumentiert ist und durchaus auch Selbstzeugnisse vorliegen, bleibt der Mensch hinter der bisweilen widersprüchlich handelnden Herrscherpersönlichkeit schwer zu fassen. Bis auf einzelne Details wie die Freude an einer großen Uhrensammlung, eine Vorliebe für reichhaltiges Essen und eine offenbar sehr ausgeprägte Spinnenphobie bleibt bei Karl alles noch besser hinter einer vom rigiden Hofzeremoniell gestützten Fassade verborgen als bei seinen Zeit- und Standesgenossen.

Zwei prägende Züge kann Heinz Schilling in seiner Betrachtung des Kaisers aber doch herausarbeiten: eine tiefe Frömmigkeit und ein Bewusstsein der eigenen Auserwähltheit, das Karl dazu trieb, von sich selbst wie von anderen die Unterwerfung unter die von ihm für richtig gehaltenen dynastischen, religiösen und politischen Prinzipien zu verlangen. Was sich im persönlichen Umfeld – etwa bei Heiratsprojekten – unter unmenschlicher Vernachlässigung des psychischen und sonstigen Wohlbefindens der Betroffenen noch mehr oder minder durchsetzen ließ, musste im größeren Rahmen scheitern.

Denn der aus diesen Überzeugungen abgeleitete Universalismusanspruch, der Karl auf eine ungeteilte Christenheit und ein den Vorrang in ganz Europa beanspruchendes, wenn nicht gar weltumspannendes Kaisertum pochen ließ, war in einer Epoche nicht mehr durchzusetzen, in der sich neben dem Beginn der Konfessionalisierung auch erste Vorboten einer Herausbildung von Nationalstaaten regten. Karls durch Zufälle der Erbfolge zusammengekommenes Reich hatte denn auch keinen Bestand über seine Abdankung hinaus. Die von ihm vorgegebene kompromisslose Linie in Religionsfragen und vor allem auch seine von aus heutiger Sicht relevanten ethischen Überlegungen unberührte Förderung der Kolonisierung Amerikas sollten jedoch Bestand haben und damit die Weltgeschichte für die folgenden Jahrhunderte in eine teilweise verheerende Richtung lenken.

Heinz Schillings Biographie Karls V. ist damit weniger ein Lebens- und Charakterbild eines einzelnen Mannes als ein Ausloten der Weichenstellungen, die am Beginn der Neuzeit erfolgten und bis heute für uns alle prägend geblieben sind. Dieser Stoßrichtung trägt auch der Aufbau des Buchs Rechnung, der zwar auf den ersten Blick chronologisch zu sein scheint, in Wirklichkeit aber eher thematisch geordnet ist. In jedem der mit einem Ort und einem Datum oder Jahr betitelten Kapitel wird um ein wichtiges Ereignis aus Karls Leben herum – sei es seine Geburt, die Begegnung mit Luther in Worms, der Tunisfeldzug oder die Schlacht bei Mühlberg – mit Vor- und Rückgriffen in andere Phasen ein bestimmter Schwerpunkt erläutert.

Insgesamt liest sich das gut und durchaus anregend. Leider haben sich hier und da  Ungenauigkeiten eingeschlichen, was bei der schieren Fülle des Stoffs verständlich, aber doch bedauerlich ist. So ist in Bezug auf Karl V. z.B. von „seiner Großmutter Margarete von York“ (S. 67) die Rede, während Margarete in Wirklichkeit die Stiefmutter seiner Großmutter Maria von Burgund war. Solche kleinen Fehler stören den Gesamteindruck des Epochenpanoramas zwar nicht sehr, aber man hätte sich doch gewünscht, dass sie im Zuge des Lektorats aufgefallen wären, vor allem, da es sich nicht um die erste Auflage des Buches handelt.

Heinz Schilling: Karl V. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach. 2., durchges. Aufl. München, C. H. Beck, 2020, 464 Seiten.
ISBN: 978-3-406-74899-8


Genre: Biographie

Leonardo da Vinci und die Frauen

Der Titel Leonardo da Vinci und die Frauen überrascht auf den ersten Blick, ist von dem bis heute berühmten Renaissancekünstler doch bekannt, dass er homosexuell war und lebenslang unverheiratet blieb. Doch Kia Vahland rückt in ihrer Künstlerbiographie nicht das Privatleben Leonardos in den Vordergrund, sondern vielmehr die Bedeutung, die Frauen für sein Werk und seine Weltsicht hatten.

Während andere Biographen in Leonardo oft primär den Naturforscher, den Erfinder oder aber auch den Zeichner betonen, sind für Vahland seine nur in geringer Zahl erhaltenen Gemälde sein zentrales Vermächtnis, und bei Leonardos gemalten Menschendarstellungen, insbesondere bei seinen Portraits, sind Frauen eindeutig in der Überzahl. Seine Mona Lisa wird als eines der bekanntesten Bilder der Welt an dieser Stelle wohl jedem einfallen, aber sie markiert im Grunde nur den Endpunkt einer langen Entwicklung, die Jahrzehnte zuvor mit Madonnen und ersten Portraits begann.

So sind es neben Leonardo selbst die von ihm gemalten Frauen, denen in diesem Buch Vahlands Hauptaugenmerk gilt: neben der in der Mona Lisa verewigten Kaufmannsgattin Lisa Gherardini die Dichterin Ginevra de’Benci, deren lyrisches Ich sich in einem erhaltenen Gedichtfragment als „Bergtiger“ bezeichnet, die vitale Cecilia Gallerani, die als Geliebte des Herrschers von Mailand, Ludovico Sforza, Karriere machte, und die Unbekannte, die heute unter der irreführenden Bezeichnung La Belle Ferronnière geführt wird und möglicherweise eine weitere Geliebte Ludovicos war.

Die großen und kleinen Geschichten um sie und um Leonardos übrige Gemälde sind eingebettet in ein mit Verve entworfenes Panorama der italienischen Renaissance mit all ihren Licht- und Schattenseiten, vom Florenz der Medici über Mailand und Venedig bis Rom. Vahland schreibt eingängig und frisch, gelegentlich aber zu umgangssprachlich für eine ernsthafte Biographie (Leonardo „macht sein eigenes Ding“, S. 263, Isabella d’Este, die Markgräfin von Mantua, ist sein „größter Fan“, S. 177, Tizian ist ein „Farbrevoluzzer“, S. 193). Darüber mag man den Kopf schütteln, doch man sollte die Lektüre dennoch nicht scheuen, da Vahland – durchaus in dem Bewusstsein, dass jede Leonardo-Deutung zeitbedingt und darum nicht endgültig ist – einige interessante Erweiterungen der gängigen Perspektive vornimmt.

Vahlands zentrale These ist, dass Leonardo den malerischen Blick auf Frauen dauerhaft veränderte, indem er sie als Individuen auf Augenhöhe ernstnahm – vielleicht auch und gerade, weil er in mancherlei Hinsicht zeitlebens ein Außenseiter blieb und darum gängige Zuschreibungen und Rollenbilder stärker zu hinterfragen vermochte als fester in den gesellschaftlichen Traditionen verwurzelte Malerkollegen. Neben dieser Auseinandersetzung mit einzelnen Frauen sieht Vahland in Leonardos Œuvre jedoch auch eine Tendenz, insbesondere die mütterliche, in seinen Madonnenbildern präsente Weiblichkeit mit der Natur und schöpferischen, da lebensspendenden Fähigkeiten zu assoziieren. An dieser Einschätzung müssen sich aus ihrer Sicht daher auch Neuzuschreibungen von Werken an Leonardo messen lassen. Insbesondere die Zuweisung des unter dem Titel La Bella Principessa bekannten, eher konventionell anmutenden Mädchenportraits an Leonardo zweifelt sie daher an.

Gründlicher hätte das Lektorat vorgehen können, da einige Flüchtigkeitsfehler übersehen worden sind. So ist z.B. der im Text beschriebene Bildausschnitt aus Benozzo Gozzolis für die Medici geschaffenen Darstellungen der heiligen drei Könige dieser hier, der Lorenzo de Medici als jugendlichen König auf einem Schimmel zeigt. Aber im Buch abgedruckt (Abb. 7, S. 71) und in der Bildlegende mit der beschriebenen Gestalt identifiziert wird rätselhafterweise der Jäger mit dem Geparden hinter sich im Sattel aus diesem Teil des Bilds.

Kia Vahland: Leonardo da Vinci. Eine Künstlerbiographie. Berlin, Insel Verlag, 2020 (Original: 2019), 348 Seiten.
ISBN: 978-3-458-68113-7

 

 


Genre: Biographie, Kunst und Kultur

Otto von Freising

Ein Intellektueller im Mittelalter – so untertitelt Joachim Ehlers seine Biographie des Bischofs Otto von Freising († 1158), der als Onkel des Kaisers Friedrich Barbarossa der gesellschaftlichen und politischen Elite seiner Zeit angehörte, aber vor allem als bedeutender Geschichtsschreiber in Erinnerung geblieben ist.
Als Sohn des Markgrafen Leopold III. von Österreich und der Agnes, einer Tochter Kaiser Heinrichs IV., geboren, wurde Otto früh zum Studium nach Paris geschickt, das im 12. Jahrhundert das Bildungszentrum Westeuropas schlechthin war. Die von seiner Familie vermutlich für ihn vorgesehene Karriere eines Weltgeistlichen war jedoch nicht nach seinem Geschmack; statt in seine Heimat zurückzukehren, trat er als junger Mann 1132 in das Zisterzienserkloster Morimond ein und wurde 1138 zu dessen Abt gewählt.
Durch die Königserhebung seines Halbbruders aus erster Ehe, Konrads III., war es mit der klösterlichen Ruhe für Otto jedoch bald vorbei: Zum Bischof von Freising ernannt, sah er sich trotz seines Festhaltens an monastischen Idealen in seinem persönlichen Leben in die Politik katapultiert, in der er als diplomatischer Vermittler bald sehr geschätzt war, sich aber nicht heimisch fühlte. Die Teilnahme am Zweiten Kreuzzug (ab 1147), der in einer Katastrophe endete, schädigte vermutlich Ottos Gesundheit erheblich, denn auch für mittelalterliche Verhältnisse war ihm kein langes Leben beschieden. Er war wohl erst knapp 46 Jahre alt, als er 1158 auf der Reise zum Generalkapitel der Zisterzienser in Morimond starb, wo er auch beigesetzt wurde.
Bleibenden Nachruhm erwarb Otto jedoch nicht durch sein Wirken als Geistlicher und Reichsfürst, sondern durch zwei historiographische Werke, die Historia de duabus civitatibus, eine in der Tradition der Zwei-Reiche-Lehre (weltliche Herrschaft und Gottesstaat) des Augustinus stehende Weltgeschichte, und die unvollendeten Gesta Friderici Imperatoris, die sich mit den Taten seines Neffen Friedrich Barbarossa befassen. Für Otto als Geschichtsschreiber ist dabei vor allem der Begriff der mutabilitas zentral, der Wandelbarkeit bzw. Unbeständigkeit alles Irdischen, die individuelle Schicksale ebenso prägt wie die Entwicklung ganzer Staatswesen. Seine eigene Gegenwart erlebte Otto als krisenhaftes Zeitalter des Wandels, das sich auf das Weltende zubewegte und deshalb ganz besonders nach einer Hinwendung zu Gott verlangte.
Joachim Ehlers beschränkt sich in seiner Deutung dieser Schriften nicht darauf, die darin aufscheinende Haltung pauschal mit mönchischer Weltverachtung zu erklären oder allgemein die theologischen und philosophischen Vorbilder aufzuzeigen, von denen Otto seit seinem Studium angeregt wurde. Vielmehr spürt er mit psychologischem Feingefühl und einem hohen Maß an menschlichem Verständnis den biographischen Einflüssen nach, die Ottos Sicht auf die Geschichte, aber auch auf sein Umfeld erklären können. Wahrscheinlich war der junge Otto früh mit den Schattenseiten von Machtstreben und weltlichem Ehrgeiz konfrontiert, da die Ehe seiner Eltern selbst für die Maßstäbe ihrer Zeit und Gesellschaftsschicht ungewöhnlich drastisch rein aus politischem Kalkül zustande kam (der im Krieg mit seinem Vater liegende Heinrich V. bot seine Schwester Agnes, möglicherweise ohne deren Einwilligung, dem Babenberger Leopold quasi als Preis für dessen Abfall von Heinrich IV. an). Der Aufenthalt in Paris erschloss ihm intellektuelle Dimensionen abseits dieses von Gewalt und Nützlichkeitserwägungen geprägten Milieus, so dass er den Ausstieg daraus wagte – wenn auch letztlich nur mit sehr kurzfristigem Erfolg, da die familiären Bindungen ihn doch noch einholten.
Über das eindrucksvolle und in einzelnen Zügen anrührende Porträt eines mittelalterlichen Denkers hinaus gelingt Ehlers jedoch zugleich ein Panorama einer ganzen Epoche und ihrer zentralen geistigen Strömungen. Schon einige Vorkenntnisse zur Ereignisgeschichte der späten Salier- und frühen Stauferzeit zu haben, schadet bei der Lektüre allerdings nicht. Allen, die auf hohem Niveau sehr nahe ans Hochmittelalter herangeführt werden möchten, sei Otto von Freising wärmstens ans Herz gelegt.

Joachim Ehlers: Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelalter. Eine Biographie. München, C.H. Beck, 2013, 384 Seiten.
ISBN: 9783406654787


Genre: Biographie

Hatschepsut

Selbstverständlich ist jeder Mensch irgendwann einmal gezeugt worden, aber dass eine Biographie mit einer handfesten Liebesszene einsetzt, begegnet einem dennoch selten. In Peter Nadigs Hatschepsut hat diese ungewöhnliche Herangehensweise jedoch durchaus ihre Berechtigung, gehörte doch die Annahme, der jeweilige König sei ein Kind des Gottes Amun, zu den zentralen Punkten der Herrschaftsideologie im alten Ägypten – auch in den Fällen, in denen der König eine Frau war, wie eben die Protagonistin dieser quellennah und flüssig geschriebenen Darstellung.
Eine regierende Königin war in Ägypten nicht vorgesehen, ein weiblicher König hingegen nicht undenkbar, aber äußerst selten. Auch Hatschepsut (die als Mitglied der 18. Dynastie im 15. Jahrhundert v. Chr. lebte) war eigentlich nicht von Anfang an zur Herrscherin bestimmt. Die Königstochter schlug als Gemahlin ihres Halbbruders Thutmosis II. zunächst einen für eine Frau ihrer Epoche und gesellschaftlichen Stellung nicht ungewöhnlichen Weg ein. Auch dass sie nach dem frühen Tod ihres Mannes die Regentschaft für ihren Neffen Thutmosis III. übernahm, entsprach durchaus den Erwartungen.
Nicht mehr rekonstruierbar ist dagegen, weshalb sie sich nach einigen Jahren entschloss, sich selbst zum König krönen zu lassen, ohne jedoch Thutmosis III. zu verdrängen. Diese singuläre Doppelherrschaft bedurfte besonderer Legitimationsstrategien, die sich unter anderem darin niederschlugen, dass Hatschepsut sich immer häufiger mit männlichen Körpermerkmalen abbilden ließ, ohne jedoch auch textlich ihr Geschlecht zu verschleiern. Auch wenn Teile dieser Selbstdarstellung unter der späteren Alleinherrschaft Thutmosis III. gezielt vernichtet wurden (wenn auch erst etwa zwanzig Jahre nach Hatschepsuts Tod, so dass dabei wohl eher politische Überlegungen als persönliche Animositäten eine Rolle spielten), sind genug Quellen, beispielsweise in Hatschepsuts Totentempel in Deir el-Bahari, erhalten, um ihre Biographie für altägyptische Verhältnisse recht genau nachzeichnen zu können.
Aus dieser natürlich von Repräsentationserwägungen gefärbten und bruchstückhaften Überlieferung entwickelt Peter Nadig meisterhaft ein Panorama einer spannenden Zeit, die nicht nur durch Feldzüge und eindrucksvolle Bauprojekte, sondern auch durch eine aufsehenerregende Expedition ins wohl irgendwo im Umkreis des Horns von Afrika zu lokalisierende Punt geprägt war. Doch auch abseits des rein Ereignishistorischen erfährt man hier Aufschlussreiches, so zum Beispiel, warum das Aufkommen der Bezeichnung Pharao (in etwa „großes Haus, Palast“) für den ägyptischen König ausgerechnet in die Zeit Hatschepsuts und Thutmosis‘ III. fällt. Lesenswert sind auch die forschungsgeschichtlichen Überlegungen dazu, inwieweit Hatschepsuts Weiblichkeit immer auch das Bild der Nachwelt von ihr geprägt, wenn nicht gar verzerrt hat, da selbst Wissenschaftler schnell damit bei der Hand waren, in ihr die klischeehafte böse Stiefmutter zu sehen oder ihr ein Liebesverhältnis mit ihrem einflussreichen Berater Senenmut anzudichten, das zwar theoretisch möglich, historisch aber nicht belegt ist. Die differenzierte Deutung, die Nadig gegen solche Zuschreibungen stellt, ist weitaus interessanter und realistischer und eröffnet auch über die Person Hatschepsuts hinaus tiefe Einblicke in Mentalität und Kultur des Alten Ägypten. Insbesondere in dieser Hinsicht lohnt es sich übrigens auch, die Endnoten des Buchs gründlich zu lesen, denn hier verbirgt sich weit über Quellen- und Literaturangaben hinaus viel Erhellendes, das über die engen Grenzen einer Biographie hinausverweist (und manchmal auch zum Schmunzeln anregt, wie etwa, wenn die potentielle Herrscherkritik einer derben altägyptischen Karikatur in genauso deftige moderne Sprache übertragen wird).
Insgesamt ist Peter Nadig ein fundiertes, anregend geschriebenes Buch gelungen, das für Laien nicht nur einen guten Einstieg in die Welt Hatschepsuts, sondern auch einen Zugang zur Ägyptologie allgemein eröffnet.

Peter Nadig: Hatschepsut. Darmstadt, Philipp von Zabern (WBG), 2014, 208 Seiten.
ISBN: 9783805347631


Genre: Biographie

Theoderich der Große

Der ostgotische König Theoderich (†  526) war ein Mann voller Widersprüche: Als Sohn eines germanischen Herrschers wuchs er als Geisel am oströmischen Kaiserhof zwischen den Kulturen auf. Im weiteren Verlauf seines Lebens jahrelang als Kriegsherr aktiv und dabei brutal genug, seinen größten Widersacher Odoaker eigenhändig zu erschlagen, etablierte er, nachdem er die Macht in Italien errungen hatte, eine im Innern jahrzehntelang größtenteils friedliche Herrschaft. Darüber hinaus war er bestrebt, durch Heiratsbündnisse und diplomatische Interventionen auch eine Art Friedensordnung unter den Nachfolgestaaten des weströmischen Reichs zu schaffen – ein Projekt, das nicht zuletzt an der Eroberungslust der Merowinger scheiterte.

Sein zweiter großer Misserfolg war der, dass er – wie übrigens viele völkerwanderungszeitliche Könige – keine Dynastie zu begründen vermochte, die ihn lange überdauert hätte: Ein als Nachfolger ausersehener Schwiegersohn starb noch vor ihm, auch der am Ende tatsächlich nachrückende Enkel fand einen frühen Tod, und weder Theoderichs Tochter Amalasvintha noch sein Neffe Theodahad, der seine Cousine stürzte, konnte sich lange halten. Unter rasch wechselnden Herrschern steuerte das Ostgotenreich dem Untergang entgegen und blieb letztlich eine kurze Episode der Weltgeschichte.

Theoderichs quellenmäßig für eine Person der Spätantike außergewöhnlich gut fassbares, aber doch mit manch einem Fragezeichen aufwartendes Leben zeichnet Hans-Ulrich Wiemer in seiner packenden Biographie Theoderich der Große. König der Goten – Herrscher der Römer nach. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei Theoderichs Ansatz einer „Integration durch Separation“: Die Goten, die mit ihm nach Italien gelangt waren, dienten auch dort weiterhin als militärische Funktionselite und sollten sich ihre religiösen und kulturellen Eigenheiten bewahren, während der noch bestehende spätrömische Verwaltungsapparat ebenso unangetastet blieb wie die katholische Kirche, obwohl der selbst homöische (arianische) König dieser eigentlich als Ketzer galt.

Die Koexistenz bekam wohl erst gegen Ende von Theoderichs Herrschaft merkliche Risse, als in einem spektakulären Hochverratsprozess mehrere römische Senatoren, darunter der berühmte Philosoph Boethius, vermutlich unschuldig zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Neben solchen Demonstrationen kompromissloser Härte lässt die Überlieferung hier und da aber auch unerwartet sympathische Züge des Königs erahnen (so z.B. seine Ablehnung der als Volksbelustigung veranstalteten Tierhetzen, seine für die Zeit ungewöhnliche Toleranz den Juden gegenüber oder sein Interesse an der Gartenarbeit).

Trotz der Fülle des in eingängigen Übersetzungen präsentierten Quellenmaterials fällt es daher schwer, sich nach modernen Maßstäben ein klares Urteil über Theoderich zu bilden, und ähnlich scheint es auch Wiemer selbst zu gehen. Als wie gelungen und sinnvoll er Politik und Lebensleistung seines Protagonisten bewertet, bleibt vage, fast so, als würde er sich in dem Wissen um die historische Bedingtheit jeder Einschätzung geschichtlicher Vorgänge eine eindeutige Position versagen. Umso ausführlicher kommen dafür in einem ans Ende des Buchs gestellten Forschungsüberblick andere zu Wort, die seit der Renaissance über Theoderich schrieben und ihn auf ganz verschiedene Art deuteten, ob nun aus der Perspektive der Aufklärung oder der eines dumpfen Nationalismus. Dieser Spaziergang durch das Nachleben Theoderichs bis in die heutige Zeit liest sich spannend und regt auch zur Reflexion darüber an, ob man nicht bisweilen selbst dazu neigt, vergangene Epochen und Persönlichkeiten im Sinne der eigenen Sichtweise zu vereinnahmen. Recht knapp geraten ist dagegen leider der Abschnitt über die mittelalterliche Theoderich-Rezeption, also insbesondere der Dietrichepik (aber vielleicht verrät der Wunsch nach mehr Detailfreude hier auch nur die Germanistinnenperspektive der Rezensentin).

Alles in allem wird so schnell jedoch niemand, der sich für Theoderich interessiert, an Wiemers auch üppig mit Bild- und Kartenmaterial ausgestatteter Biographie vorbeikommen. Die umfangreiche Untersuchung hat beste Chancen, zu einem der Standardwerke auf dem Gebiet zu werden.

Hans-Ulrich Wiemer: Theoderich der Große. König der Goten – Herrscher der Römer. Eine Biographie. München, C. H. Beck, 2018, 782 Seiten.
ISBN: 978-3406719080

 


Genre: Biographie

Jesus und seine Welt

Cay Rademacher ist eigentlich vor allem als Journalist und Krimiautor bekannt, doch als studierter Historiker legt er mit Jesus und seine Welt ein geschichtliches Sachbuch für einen breiten Leserkreis vor, das für Christen wie Nichtchristen gleichermaßen interessant ist. Denn auch wenn Rademacher sich dem Menschen Jesus und seiner Umgebung aus historischer Perspektive nähert und deutlich macht, wo die Trennlinien zwischen dem wissenschaftlich Plausiblen und reinen Glaubensinhalten verlaufen, behandelt er die Religion durchaus mit Respekt.
Ein Problem bei vielen Persönlichkeiten der Antike – und zumal bei jemandem, zu dessen Lebzeiten noch nichts von dem Nachruhm zu ahnen war, den er einmal genießen würde – ist die relative Quellenarmut, die das Schreiben einer echten Biographie im neuzeitlichen Sinne erschwert bis unmöglich macht. Auch im Falle Jesu geben die Evangelien und wenige außerbiblische Texte nur einige Eckdaten vor. Rademachers Hauptaugenmerk gilt daher über weite Strecken der Schilderung des Umfelds, in dem Jesus wirkte und vor dessen Hintergrund seine radikalen religiösen Lehren zu verstehen sind.
Zum einen ist dies das antike Judentum, in dem mit Sadduzäern, Pharisäern, Essenern und Zeloten unterschiedliche Strömungen um Einfluss und Deutungshoheit konkurrierten, zum anderen das römische Reich mit seinen Provinzen und Klientelstaaten. Unter Rückgriff auf archäologische Funde und schriftliche Überlieferung beschwört Rademacher Licht- und Schattenseiten beider Kulturen plastisch herauf. Wer trockene historische Sachbücher eigentlich immer zu langweilig findet, sieht hier, dass es auch anders geht, denn Rademacher liefert eine packende Reportage aus einer vergangenen Welt und spielt dabei seine ganze journalistische Schreiberfahrung aus. Die Sachinformationen sind zutreffend und gut recherchiert. Nur in der Bewertung der paganen römischen Kulte als abergläubisch und innerlich nicht erfüllend scheint etwas zu deutlich die Sicht des späteren Beobachters durch, der schon um den Triumph monotheistischer Religionen weiß.
Notwendigerweise spekulativ müssen manche Überlegungen bleiben, die sich auf Jesus selbst beziehen – so etwa die Frage, ob dieser im nicht weit entfernt von Nazareth gelegenen Sepphoris schon früh mit hellenistischer Weltläufigkeit und vielleicht gar mit griechischen Theateraufführungen in Berührung gekommen sein mag, die seine spätere Predigttätigkeit ebenso beeinflusst haben könnten wie das dörfliche Leben seiner Jugend. Auch bei der Interpretation derjenigen biblischen Berichte über Jesus, die historisch zwar nicht extern Belegbares, aber doch zumindest Glaubhaftes schildern, bezieht Rademacher immer wieder die Epoche und ihre Besonderheiten mit ein, um deutlich zu machen, dass das gängige moderne Verständnis manchmal zu kurz greift (z.B. betont er bei der Geschichte über Jesu Tempelreinigung, dass die Vertreibung der Händler aus dem Tempel von der damaligen Öffentlichkeit nicht allein als Versuch der Trennung von Kommerz und Religion, sondern auch als Angriff auf den etablierten Opferkult an sich begriffen worden sein dürfte). Hier ergeben sich viele spannende Denkanstöße.
Eine knappe Liste von Buchempfehlungen zum Thema, ein Orts- und Personenregister sowie Kartenmaterial runden den kleinen Band ab. Im Prinzip sind diese Zusätze nützlich, aber bei der Karte von Judäa und angrenzenden Gebieten wünscht man sich, sie wäre etwas größer abgedruckt – wer hier die Ortsnamen entziffern will, braucht entweder sehr gute Augen oder eine Lupe.
Insgesamt ist das Buch jedoch ein lesenswerter Einstieg in die historisch-kritische Jesusforschung. Für alle, die sich schon etwas näher mit dem Thema befasst haben, lohnt sich die Lektüre immerhin zur Auffrischung von Kenntnissen, da hier der Forschungsstand auf sehr zugängliche Weise präsentiert wird.

Cay Rademacher: Jesus und seine Welt. Eine historische Spurensuche. Hamburg, Ellert & Richter, 2013, 160 Seiten.
ISBN: 978381905133


Genre: Biographie, Geschichte

Ramses der Große

Eine über sechsundsechzig Jahre dauernde Herrschaft, zahlreiche Ehefrauen (darunter seine Schwester und drei seiner eigenen Töchter), um die hundert Kinder und ein Bauprogramm, das seinesgleichen sucht – Ramses II. (um 1303 bis 1213 v. Chr.) war ein Pharao der Superlative und wurde für spätere ägyptische Könige zum unerreichten Vorbild. Dennoch überdauerte seine 19. Dynastie seinen Tod nur um gut zwei Jahrzehnte, und trotz des relativen Quellenreichtums seiner Zeit (etwa in Form von Inschriften und diplomatischer Korrespondenz) ist eine objektive Wertung kaum möglich, ist doch nur die offizielle und damit nicht selten propagandistisch gefärbte Version der Ereignisse erhalten.
Noch schwerer fällt eine Annäherung an den Menschen Ramses, da es keine Selbstzeugnisse außerhalb seiner Rolle als Pharao von ihm gibt und auch ein privates Schrifttum Dritter fehlt. Eine Biographie des legendären Herrschers zu verfassen, ist also weitaus schwieriger, als sein Bekanntheitsgrad es ahnen lässt.
Der Althistoriker Manfred Clauss nimmt sich der Aufgabe dennoch mit viel Schwung und Erzählfreude an und schlägt den Tücken der Quellenlage gerade dadurch ein Schnippchen, dass er sie anerkennt, unter diesem Vorbehalt aber konsequent eng dem Vorhandenen folgt. Einen Großteil des Buchs nimmt daher eine chronologisch Jahr für Jahr angelegte Schilderung von Ramses‘ Leben ganz im Stile der ägyptischen Annalistik ein; sind für ein spezifisches Jahr keine Ereignisse überliefert, ist es mit der Segensformel „Der Pharao lebe, sei heil und gesund!“ ausgefüllt. So begegnet man Ramses nach einem kurzen Überblick über diejenigen seiner Vorgänger, die sein Vater Sethos I. und er im Osiris-Heiligtum von Abydos auf Ahnentafeln auflisteten (was zu einigen interessanten Auslassungen führt – Echnaton oder Tutanchamun sucht man etwa vergebens), zunächst in seiner Rolle als Kronprinz, um ihn dann durch seine lange Regierungszeit zu begleiten. Dabei steht nicht allein Ereignishistorisches im Mittelpunkt (wie etwa die Schlacht von Kadesch, die Clauss auf 1275 v. Chr. datiert). Vielmehr erfährt man an Ramses‘ Beispiel auch so manches über Aufgaben und Selbstdarstellung eines Pharaos allgemein, so dass der Band auch gut als Einführung in altägyptisches Herrschafts- und Religionsverständnis dienen kann.
Ausführliche eigene Kapitel sind Ramses‘ Umfeld und seiner regen Bautätigkeit gewidmet. Hier finden sich, soweit möglich, Detailinformationen über einzelne Personen in der Umgebung des Pharaos (wie seine Mutter Mut-Tuja, seine Gemahlinnen, seine Kinder oder seine Beamten), aber auch über seine heute größtenteils verschwundene Hauptstadt Pi-Ramesse und bedeutende Einzelbauwerke wie den Tempel von Abu Simbel.
Auch abgesehen von der Nähe zu den Quellen lässt Clauss dabei einen sensiblen Zugang zur ägyptischen Kultur erkennen, der die damaligen Überzeugungen bei aller kritischen Distanz mit Respekt behandelt und sich dadurch positiv etwa vom Zynismus eines Toby Wilkinson abhebt. So deutet Clauss etwa an, dass bei allem Wert der Untersuchungen an der 1870 wiederentdeckten Mumie des Ramses die Wünsche des Pharaos selbst für den Umgang mit seinem Leichnam sicher anders ausgesehen hätten, und schärft so den Blick für die angesichts des heutigen Primats der Naturwissenschaften oft unterrepräsentierte Perspektive, dass Forschungsdrang bei der Beschäftigung mit lange verstorbenen Mitmenschen nicht alles ist oder sein sollte.
Das Staunen über das in vielen Zügen fremdartige Leben des Ramses, das gewöhnliches Menschenmaß zu sprengen scheint, wird durch ein spannendes Fazit zurechtgerückt, das Ramses als Pharao schlechthin mit Augustus als dem römischen Kaiser vergleicht und kontrastiert. Während beide von der Nachwelt zu idealtypischen Herrschergestalten stilisiert wurden, die nach kriegerischen Anfängen ihren Untertanen zu Friedensgaranten wurden, war der Römer bereits mit einer etablierten Geschichtsschreibung konfrontiert, die dafür sorgte, dass seine antiken Biographen auch Fehler und Missetaten nicht in Vergessenheit geraten ließen. Ein solches Korrektiv fehlt bei Ramses – aber dass man sich denken kann, dass man aus den erhaltenen Inschriften und Briefen nicht die ganze Wahrheit erfährt, macht den Teil davon, den Manfred Clauss einzufangen versucht, nicht weniger lesenswert.

Manfred Clauss: Ramses der Große. Darmstadt, Primus Verlag (WBG), 2010, 214 Seiten.
ISBN: 9783896786760


Genre: Biographie

Augustinus

Augustinus von Hippo (354 – 430) prägt bis heute das Christentum wie kaum ein anderer Denker. Der renommierte Althistoriker Robin Lane Fox nähert sich ihm aus der interessanten Perspektive eines modernen Betrachters, der Augustinus‘ Glauben ausdrücklich nicht teilt, aber von seiner Klugheit, Wortgewalt und schriftstellerischen Produktivität zutiefst beeindruckt ist.
Augustinus. Bekenntnisse und Bekehrungen im Leben eines antiken Menschen ist dabei keine Biographie in ganz klassischem Sinne, sondern eher eine intensive Auseinandersetzung mit Augustinus‘ autobiographischen Confessiones. Das Werk wird allerdings nicht isoliert betrachtet, sondern umfassend in seinen (geistes-)geschichtlichen Kontext eingebettet und auch immer wieder mit den Selbstaussagen zweier Zeitgenossen aus dem Ostteil des römischen Reichs verglichen und kontrastiert. Einer von ihnen, der Heide Libanios, hatte mit Augustinus den Beruf als Rhetor gemein, der andere, der Christ Synesios, wurde wie Augustinus Bischof, entstammte aber anders als er der Oberschicht. Vor der Folie ihrer geradlinigeren und in vielerlei Hinsicht konventionelleren Lebenswege wird deutlich, was das Besondere an Augustinus und seiner Sinnsuche ausmacht.
In eine Familie mittelständischer Landbesitzer im nordafrikanischen Thagaste hineingeboren, kam Augustinus durch seine fromme Mutter Monnica zwar schon früh mit dem Christentum in Berührung, schloss sich aber als junger Mann für längere Zeit den Manichäern an und führte ein sinnenfrohes Leben mit einer Geliebten. Erst in seiner Heimat, später in Italien war er als Rhetor tätig. In Mailand entschloss er sich unter dem Einfluss seiner Mutter und des dortigen Bischofs Ambrosius nicht nur zur Taufe, sondern hatte auch ein Bekehrungserlebnis, das ihn fortan ein keusches und asketisches Leben führen ließ. Nach Nordafrika zurückgekehrt gründete er eine klösterliche Gemeinschaft, der auch sein unehelicher Sohn bis zu dessen frühem Tod angehörte, wurde nolens volens zum Priester geweiht und schließlich zum Bischof von Hippo erhoben. Dieses Amt übte er bis an sein Lebensende aus.
In Erinnerung geblieben ist Augustinus vor allem durch eine Fülle religiöser Schriften, zu denen auch die in Form einer Art autobiographischen Gebets komponierten Confessiones zählen, in denen er seinen Werdegang schildert.
Ausgehend von ihnen entwirft Robin Lane Fox das Psychogramm eines hochintelligenten, aber emotional fragilen Menschen, der gerade im privaten Bereich immer wieder fragwürdige Entscheidungen traf (so wirkt z.B. sein Umgang mit seiner langjährigen Geliebten, die er in der Hoffnung auf eine vorteilhafte Heirat verstieß, äußerst schäbig).
Auf Jahrhunderte hinaus vorbildhaft wurden jedoch seine theologischen Gedankengänge, auch wenn nicht alle von ihnen eine erfolgreiche Wahrheitsfindung ihres Urhebers darstellten. Charakteristisch für sie ist aus Lane Fox‘ Sicht vielmehr sehr häufig das „kreative Missverständnis“: Da die lateinischen Übersetzungen, in denen Augustinus biblische Texte las, oft fehlerhaft waren, basierten seine Interpretationen mehr als einmal auf Irrtümern und falschen Begriffen, sind aber bis heute prägend für beide große Konfessionen des christlichen Westens, ob es nun um die Erbsünde, die Gnadenlehre oder die Überhöhung der vita contemplativa geht. Gerade in diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, dass Augustinus seine Überlegungen nicht etwa aus der Bibel allein entwickelte, sondern in hohem Maße von der neuplatonischen Philosophie beeinflusst war.
Die Herausbildung dieser speziellen Kombination aus antikem Erbe und Christentum war bei Augustinus zum Zeitpunkt der Abfassung der Confessiones überwiegend abgeschlossen, so dass die Beschränkung auf seinen Weg bis dorthin verständlich ist. Der Nachteil dieser Schwerpunktsetzung besteht allerdings darin, dass bestimmte problematische Aspekte von Augustinus‘ Verhalten, die in seinem späteren Leben prononcierter waren (so etwa seine wiederholten Versuche, die Staatsgewalt gegen Andersdenkende zu mobilisieren), nur am Rande gestreift werden. Hier hätte man dem Buch noch einen etwas ausführlicheren Ausblick auf die letzten Jahre seines Protagonisten gewünscht.
Als Charakterstudie, aber auch als Panorama einer bunten und vielfältigen Spätantike ist es dennoch ein herausragendes Werk, das auch von Robin Lane Fox‘ sehr lesbarem und zugänglichem Stil lebt, der in der Übersetzung von Karin Schuler und Heike Schlatterer kongenial eingefangen ist. Allen, die mehr über eine faszinierende Epoche und einen ihrer wirkmächtigsten Akteure erfahren wollen, ist die Lektüre also nur zu empfehlen.

Robin Lane Fox: Augustinus. Bekenntnisse und Bekehrungen im Leben eines antiken Menschen. Stuttgart, Klett-Cotta 2017, 752 Seiten.
ISBN: 9783608981155


Genre: Biographie, Geschichte

Mrs. Tsenhor. A Female Entrepreneur in Ancient Egypt

Obwohl Frauen im Alten Ägypten Männern gegenüber in manchen Bereichen benachteiligt waren (z.B. durch rituelle Tabus bezüglich der Menstruation), hatten sie doch insgesamt sozial und wirtschaftlich eine wesentlich stärkere Stellung inne als viele ihrer Zeitgenossinnen in anderen Kulturen rings um das Mittelmeer. In ihrer Geschäftsfähigkeit waren sie nicht eingeschränkt, sondern konnten Vermögen besitzen, erben und vererben, sich scheiden lassen, unterschiedlichsten Berufen nachgehen und unternehmerisch tätig sein. Obwohl es hier also auf allen gesellschaftlichen Ebenen viel Interessantes zu entdecken gibt, stehen als Einzelpersönlichkeiten meist nur Herrscherinnen oder andere Angehörige der Elite im Fokus der Forschung. Koenraad Donker van Heels vergnüglich zu lesende Quellenstudie Mrs. Tsenhor gewinnt ihren Reiz gerade daraus, dass er stattdessen die Biographie einer Durchschnittsfrau aus der ägyptischen Mittelschicht aus in Form von Papyri überlieferten Dokumenten rekonstruiert.
Tsenhor, deren Name „Schwester des Horus“ bedeutet, wurde um 550 v. Chr. in eine Familie in Theben hineingeboren, die dem Berufsstand der Choachyten angehörte – Personen, die professionell den Totenkult ausübten. Mit Einbalsamierung und Bestattung allein war in der jenseitsverliebten Kultur des alten Ägypten noch nicht genug für das ewige Leben vorgesorgt. Den Verstorbenen mussten dauerhaft Trank- und Speiseopfer dargebracht werden, eine Tätigkeit, für die man die Choachyten engagierte und gut bezahlte (etwa durch die Übereignung von Feldern, denn eine Geldwirtschaft war noch nicht gebräuchlich).
Auch Tsenhor übte als Erwachsene diesen Beruf aus und erbte von ihrem Vater ein Viertel des Familienunternehmens (die restlichen Anteile entfielen auf ihre drei Brüder). Nach einer ersten Ehe, der ihr vermutlich relativ jung verstorbener Sohn Peteamunhotep entstammte, heiratete sie spätestens 517 den Choachyten Psenese, mit dem sie die Tochter Ruru und den Sohn Ituru hatte, die nach Pseneses Tod (zwischen 498 und 494) als seine Erben zu gleichen Teilen bezeugt sind. Tsenhor überlebte ihren Mann und erscheint bis ins vorgerückte Alter weiter in verschiedensten Urkunden. Sie starb nach 490.
Aus den erhaltenen Dokumenten, die wohl entweder von Tsenhor selbst oder von einem ihrer Nachkommen gesammelt und verwahrt wurden, ergibt sich eine erstaunliche Fülle von Details über Rechtsgeschäfte aller Art, von Erbschaftsregelungen über den Kauf eines Sklaven oder Tsenhors und Pseneses gemeinsamen Hausbau (praktischerweise direkt neben der Werkstatt eines Balsamierers) bis hin zur Miete eines Rinds zum Pflügen der Ackerlands der Familie. Auf diese Weise entsteht ein detailliertes Bild des Alltagslebens in Ägypten zur Zeit der persischen Herrschaft.
Bei aller Quellennähe schreibt Donker van Heel in einem humorvollen, bisweilen sprachlich etwas flapsigen Stil, der einem allgemeinen Publikum sehr entgegenkommt. Inhaltlich bleiben seine Angaben aber seriös, und er weist stets darauf hin, wenn es in der Ägyptologie noch andere Deutungen als die jeweils von ihm vertretene gibt.
Zur Stützung seiner Argumentation und zum Vergleich zieht der Autor neben den Urkunden, die sich auf Tsenhor und ihr Umfeld beziehen, auch eine Fülle von anderen Quellen aus verschiedensten Epochen vom Alten Reich bis zur koptischen Zeit heran. Manche Traditionen waren, wie sich zeigt, über Jahrhunderte wenn nicht gar Jahrtausende sehr beharrlich, etwa bestimmte Formen der Erbschaftsaufteilung – und leider auch die entsprechenden Erbstreitigkeiten. So erfährt man im Zuge der Lektüre sehr viel über das alte Ägypten abseits von Pyramiden und Pharaonen, beispielsweise über verwickelte Familienverhältnisse (die durch Adoptionen noch zusätzlich verkompliziert werden konnten), den Hang eines Schreibers zu angeberischen Titeln, mit denen er seine Urkunden signierte, Pannen im Berufsalltag von Bestattern, die auch schon einmal vergaßen, eine Mumie in ihr Grab zu transportieren, und dergleichen mehr.
Wer sich für Alltagsgeschichte interessiert, wird an Mrs. Tsenhor auf alle Fälle seine Freude haben, und findet in der Titelfigur eine ansprechende Protagonistin, an deren Seite er ihre ferne und fremde, aber in bestimmten Belangen zeitlos wirkende Welt erkunden kann.

Koenraad Donker van Heel: Mrs. Tsenhor. A Female Entrepreneur in Ancient Egypt. Kairo, New York, The American University in Cairo Press, 2015, 229 Seiten.
ISBN: 9789774166778


Genre: Biographie, Geschichte