Der Olymp ist einerseits ein ganz irdischer Berg in Griechenland, andererseits aber schon seit den Zeiten Homers als Sitz der Götter und insbesondere des Zeus legendenumwoben. Es ist diese Dichotomie zwischen realem Ort und mythischem Idealbild, der der Archäologe Achim Lichtenberger in seinem Buch Der Olymp. Sitz der Götter zwischen Himmel und Erde nachspürt.
Ausgehend von der heute noch immer allgemeinen Bekanntheit des mythischen Olymp, der etwa als werbeträchtiger Namensträger für Produkte herhalten muss, erkundet der Autor zunächst die antiken literarischen und bildlichen Darstellungen des Olymp als Göttersitz, der diesseitigen menschlichen Erfahrungen entrückt blieb und mit dem Himmel assoziiert wurde.
Diesem imaginierten Olymp gegenübergestellt wird der reale Olymp, der, zwischen den Landschaften Thessalien und Makedonien gelegen, mit einer Kultstätte auf einem seiner Nebengipfel durchaus eine religiöse Nutzung erfuhr, aber auch ganz handfest zum Kriegsschauplatz werden konnte und nicht zuletzt eine bedeutende ideologische und politische Rolle spielte. Insbesondere die makedonischen Könige, die gern als Griechen anerkannt sein wollten, nutzten die Nähe des Berges und die mit ihm verbundene Zeusverehrung aus, um sich kulturell zu profilieren.
Die Idee des Olymp als Göttersitz war aber nicht strikt ortsgebunden, sondern auf unterschiedlichste geographische Regionen übertragbar, wie Lichtenberger anhand des etymologisch übrigens bisher nicht eindeutig erklärbaren Bergnamens Olymp nachweist, der auch anderen Bergen beigelegt wurde. Insbesondere, aber nicht nur im östlichen Mittelmeerraum konnten dabei die Olympvorstellung und das verbreitete Phänomen als heilig verehrter oder doch zumindest kultisch genutzter Berge ineinandergreifen. Hier haben dann auch die pagane griechische Religion und das alte Israel ungeahnte Berührungspunkte (wenn sich etwa auf dem Berg Garizim neben der Jahwe-Verehrung der Samaritaner auch ein Kult für Zeus Olympios ansiedelte).
Am Beispiel des Olymp gelingt Lichtenberger so eine überzeugende Charakterisierung der altgriechischen Religion, die zwar einerseits übergreifend einen ganzen Kulturraum prägte, andererseits aber auch immer wieder flexibel regionalen und lokalen Gegebenheiten angepasst werden konnte. Die zunächst mit einem spezifischen realen Berg verknüpfte Vorstellungswelt ließ sich so beliebig verlagern, ergänzen und mit örtlichen Glaubensüberzeugungen verschmelzen.
Die reiche Bebilderung erhöht die Anschaulichkeit des Buchs. Verbesserungswürdig ist in Einzelfällen allerdings die Abbildungsgröße (z.B. ist die Nummerierung der Karte auf S. 120 [Abb. 47], die einen Überblick über die Verbreitung der Bezeichnung „Olymp“ im östlichen Mittelmeerraum bietet, so winzig abgedruckt, dass man schon sehr genau hinsehen muss, um die einzelnen Punkte der Legende zuordnen zu können). Ein umfangreiches Glossar erleichtert Leserinnen und Lesern, die sich mit der Antike und ihrer Mythologie nicht näher auskennen, den Zugang zum Thema. Wer sich nicht nur speziell mit dem Olymp befassen will, kann das Buch daher auch gut als Einstieg nutzen, um zu verstehen, was antike Religiosität auszeichnete und wie sie mit (durchaus auch wechselnden) Orten verbunden sein konnte.
Achim Lichtenberger: Der Olymp. Sitz der Götter zwischen Himmel und Erde. Stuttgart, W. Kohlhammer, 2021, 218 Seiten.
ISBN: 978-3-17-039616-6