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Diokletian

Eine historische Gestalt als Menschen voller Widersprüche zu beschreiben, wirkt immer etwas wohlfeil, aber auf den römischen Kaiser Diokletian trifft diese Charakterisierung so gut zu wie auf nur wenige andere: Aus niedersten Verhältnissen über den Militärdienst ins höchste Amt aufgestiegen, stellte er sein Durchsetzungsvermögen brutal unter Beweis, indem er einen Konkurrenten um die Macht eigenhändig tötete, war aber andererseits auch bereit, ebendiese Macht durch die Einrichtung der Tetrarchie in gewissem Maße zu teilen und nach zwanzig Jahren schließlich durch seine auf eigenen Wunsch erfolgte Abdankung wieder aus der Hand zu geben. Als Christenverfolger in der religiös geprägten späteren Historiographie als Gewaltherrscher verschrien, versuchte er doch zugleich, die einfache Bevölkerung – etwa durch sein Höchstpreisedikt – zu schützen und in Rechtssachen für die Verhältnisse seiner Zeit humane Entscheidungen zu fällen; als Bauherr prunkvollster Paläste und Thermen war er doch besonders stolz auf sein selbst angebautes Gemüse.

Ein solcher Mann ist, zumal, wenn die Quellenlage besser sein könnte, nicht leicht zu fassen, aber Alexander Demandt wagt in seiner Biographie Diokletian mit Erfolg den Versuch, dennoch so gut wie möglich ein Bild des Kaisers und seiner Zeit zu zeichnen – oder vielmehr seiner beiden Zeiten, denn für Demandt markiert Diokletians Wirken den Übergang von der durch häufige und nicht selten gewaltsame Herrscherwechsel geprägten Epoche der Soldatenkaiser zur Spätantike mit dem Erstarken des Christentums.

Der Fokus liegt dabei weniger auf der ereignishistorischen Nachzeichnung eines Lebenswegs als auf der Betrachtung unterschiedlichster Themengebiete (wie etwa Recht, Wirtschaft oder Militär) und der Art, wie sie sich unter und oft auch durch Diokletian veränderten. Wichtig ist Demandt dabei stets das Aufzeigen von Vergleichsfällen und kulturellen Kontinuitäten bis in die Neuzeit, ja bisweilen bis in die Gegenwart. Auch wenn man ihm diesbezüglich vielleicht nicht bei jeder Wertung ganz folgen möchte, zeigt die vorliegende Biographie doch beispielhaft, dass kein Leben isoliert betrachtet werden darf und auch die Beschäftigung mit einer scheinbar so fernen Epoche wie der Antike stark dazu beitragen kann, die heutige Welt zu verstehen – manchmal in ganz offensichtlicher Weise wie bei der Jahreszählung des koptischen Kalenders, oft aber auch in subtilerer Hinsicht.

Über Diokletian selbst fällt Demandt ein insgesamt recht positives Urteil und sieht ihn als pflichtbewussten und ernsthaft um Reformen bemühten Herrscher, der für zwei Jahrzehnte tatsächlich Stabilität in schwierigen Zeiten herzustellen vermochte, sich allerdings mit seinem Versuch verkalkulierte, durch die Tetrarchie dauerhaft ein Fundament dafür zu legen, weil diese Aufteilung der Macht widersinnigerweise nur durch die Machtfülle, über die Diokletian verfügte, und den hohen persönlichen Respekt, den er genoss, funktionierte. Nach seiner Abdankung war das System aus sich selbst heraus nicht tragfähig genug, um dem unbedingten Machtwillen Einzelner, vor allem Konstantins, etwas entgegenzusetzen.

Ein umfangreicher Anhang, der neben Anmerkungen, Register und Auswahlbibliographie auch noch kurze Erörterungen zu einigen Spezialfragen (u. a. zum in der Forschung strittigen Sterbejahr Diokletians) enthält, und Abbildungen einschließlich eines umfangreichen Tafelteils in Farbe runden den gelungenen Band ab. Nicht nur für an der Spätantike Interessierte ist die Lektüre also empfehlenswert und durch Demandts anspielungsreichen, oft auch nicht um bissige Bonmots verlegenen Stil durchaus unterhaltsam.

Alexander Demandt: Diokletian. Kaiser zweier Zeiten. Eine Biographie. München, C. H. Beck, 2022, 432 Seiten.
ISBN: 978-3-4067-8713-7


Genre: Biographie, Geschichte

Zeit. Eine Kulturgeschichte

Die Zeit ist für uns alle naturgemäß eine Selbstverständlichkeit, aber wenn es sie und den mit ihr einhergehenden stetigen Wandel nicht gäbe, würde sich auch die Geschichte und mit ihr jegliche Geschichtsschreibung erübrigen. So ist es vielleicht kein Wunder, dass mit Alexander Demandt ein renommierter Historiker das Phänomen Zeit in den Blick nimmt und unter kulturgeschichtlicher Perspektive der Genese unserer Zeitrechnung und unseres Zeitverständnisses nachspürt. Geographisch liegt der Schwerpunkt dabei auf Europa und dem vorderen Orient, während andere bedeutende Hochkulturen (wie etwa in China oder Altamerika) allenfalls flüchtig behandelt werden.
Der gewählte Einstieg mit dem Kapitel Zeitbegriffe und Zeitmetaphern ist thematisch nachvollziehbar, bietet aber vielleicht nicht den leserfreundlichsten Zugang, sind die ersten vierzig Seiten so doch relativ zähe philosophische Kost. Hat man sich jedoch erfolgreich durch diesen etwas verschlungenen theoretischen Unterbau gearbeitet, entfaltet sich ein ebenso informatives wie spannendes Panorama des Umgangs mit der Zeit von der Antike bis heute, das sich weit flüssiger und unterhaltsamer liest.
Demandt weiß die komplizierten Verflechtung von natürlichen und menschengemachten Zeiteinteilungen genau so einleuchtend zu schildern wie das Ineinandergreifen linearer und zyklischer Zeitmodelle, für die es ebenfalls in der Natur Vorbilder gibt (so etwa das unumkehrbar fortschreitende Lebensalter eines Menschen oder die sich immer wiederholende Abfolge von Jahreszeiten). Die Erkenntnis, dass der von uns noch heute genutzte Kalender und viele andere Besonderheiten der Zeitrechnung und -messung vor allem von römischen Traditionen geprägt sind, die vom Christentum übernommen und weiterentwickelt wurden, ist zwar an sich nicht neu, aber die verschwenderische Informationsfülle, mit der Demandt diesen Weg nachzeichnet, birgt doch so manche Überraschung und Entdeckung.
Gerade in den Abschnitten, die sich nicht mit Stunden, Tagen, Monaten, Jahren und Jahreszählung im strikten Sinne befassen, sondern Randgebiete wie z.B. Geplante Erinnerung aufgreifen, verstecken sich bisweilen interessante und unerwartete Details. So kann man hier etwa erfahren, dass im 2. Jahrhundert n. Chr. ein Mann namens Diogenes, der sich sehr für Epikur begeisterte, dessen Philosophie an die Nachwelt weitergeben wollte, indem er sie auf einer kleinasiatischen Stadtmauer niederschreiben ließ (wobei er die spätere Zerstörung der Mauer anscheinend nicht vorausahnte). Umgekehrt verdankt manch heute noch bekanntes Werk aus der Antike sein Überdauern eher dem Zufall als planvoller Erhaltung – Grund genug, sich die Frage nach der tatsächlichen Wirksamkeit von gezielter Überlieferung zu stellen.
Demandts Kenntnisreichtum und seine Freude auch an scheinbar entlegenen Einzelheiten stehen also außer Zweifel. Angesichts des schier unüberschaubaren Materials ist es allerdings kein Wunder, dass sich hier und da kleinere Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen haben (z.B. kann eine Uhr, die 1585 entstand, nicht, wie hier behauptet, „wahrscheinlich als Tafelaufsatz für August den Starken geschaffen“ worden sein, der erst 1670 geboren wurde). Solche Versehen fallen jedoch insgesamt kaum ins Gewicht und schmälern den positiven Gesamteindruck nur unbeträchtlich.
Geschmackssache ist dagegen, wie es einem gefällt, dass Demandt als Autor nicht hinter seinem Thema zurücktritt, sondern sich immer wieder stark selbst einbringt: Von persönlichen Anekdoten über dezidiert vorgetragene Meinungen (die man vielleicht nicht in jedem Fall unterschreiben möchte) bis hin zum wiederholten Kokettieren mit dem eigenen vorgerückten Alter ist er immer auch als Mensch überaus präsent. Ein objektiver Qualitätsmangel ist das gewiss nicht, aber doch eine Tatsache, die je nach Lesevorliebe die eigene Reaktion auf das Buch in hohem Maße mitbestimmen wird.
Verschwendet jedoch ist die Zeit, die man der Lektüre von Zeit. Eine Kulturgeschichte widmet, auf keinen Fall.

Alexander Demandt: Zeit. Eine Kulturgeschichte. Berlin, Propyläen (Ullstein), 2015, 588 Seiten.
ISBN: 978-3549074299


Genre: Geschichte, Kunst und Kultur