Die Ausstellungskataloge des Bucerius Kunst Forums bieten in aller Regel vorzügliche Bilder und Texte, und auch Pompeji. Götter, Mythen, Menschen, der Begleitband zur aktuellen Pompeji-Ausstellung, bildet da keine Ausnahme.
In eine Aufsatzsammlung und einen Katalogteil gegliedert, erlaubt er am Beispiel der sogenannten Casa del Citarista („Haus des Kitharaspielers“), eines der prächtigsten Häuser der Stadt, einen faszinierenden Einblick in die pompejanische Kunst und ihre Rolle im Rahmen von Wohnkultur und Repräsentation.
Von den Ausgräbern nach einer Bronzestatue des Apoll als Kitharaspieler (Kat.-Nr. 52) benannt, wurde die Casa del Citarista von ca. 300 v.Chr. an mit zahlreichen Umbauten und Erweiterungen bis zum fatalen Vesuvausbruch 79 n.Chr. kontinuierlich genutzt. Um mehrere Atrien und Peristylien mit reichem Relief- und Statuenschmuck gruppiert sich eine Fülle von Räumen mit erlesenen, heute im Archäologischen Nationalmuseum Neapel verwahrten Wandmalereien, die vor allem mythologische Szenen zeigen.
Eine Einordnung ihres Bildprogramms und ihrer stilistischen Eigenheiten in einen größeren Kontext erlaubt der Vergleich mit einer repräsentativen Auswahl anderer Gemälde, die in der Ausstellung getrennt von der als Ensemble präsentierten Casa del Citarista gezeigt werden und so folgerichtig ihren eigenen Katalogteil bekommen, der die Entwicklung der pompejanischen Malerei nachzeichnet: Wird im Ersten Stil oder „Mauerwerkstil“ (ca. 2. Jh. v. Chr. bis 80 v. Chr.) noch versucht, Marmor und andere hochwertige Baustoffe zu imitieren, zeigt der Zweite Stil oder „Architekturstil“ (ab ca. 100 v. Chr.) perspektivisch fiktive Architektur. Die meisten Kunstwerke aus der Casa del Citarista sind jedoch den beiden folgenden Stilepochen zuzuordnen: Der Dritte Stil (ca. 40 v. Chr. bis 50 n. Chr.) zeichnet sich durch eine ornamentalere und zierlichere, die Wand mit Architekturdetails und dekorativen Figuren gliedernde Herangehensweise aus und führt mythologische Szenen als zentrales Bildfeld ein. Der Vierte Stil (ab ca. 40 n. Chr.) schließlich ist überbordender als seine Vorgänger, deren Elemente er vielfach farbenprächtig kombiniert und steigert.
Trotz ihrer hauptsächlichen Funktion als Beispiele für diese Stilrichtungen werden die Kunstwerke jeweils individuell gewürdigt. Ähnlich liebevoll sind auch die Ausstellungsstücke aus der Casa del Citarista besprochen, von den monumentalen Wandgemälden über Portraitbüsten und Tierstatuen bis hin zu Kleinfunden wie Schmuckstücken oder Möbelfüßen. Hervorzuheben sind die gute Qualität und betrachterfreundliche Größe der Fotos, die diese Texte begleiten: Hier lässt sich wirklich jede Einzelheit gut erkennen, wenn man nicht ganz einfach nur im Kunstgenuss schwelgen und die zarte Farbenpracht der Malereien und den Einfallsreichtum der Künstler genießen möchte.
Weniger einheitlich als der Katalogteil wirkt die vorausgehende Aufsatzsammlung, die u.a. mit Kartenmaterial und Fotos aus Pompeji ebenfalls schön illustriert ist und nicht nur die Geschichte der Stadt von ihrer Gründung um 600 v. Chr. an schildert, sondern auch auf ihre Ausgrabung und Erforschung ab dem 18. Jahrhundert eingeht und ausführlich die Casa del Citarista unter verschiedenen Aspekten vorstellt. Letzteres geschieht zum Teil mit kreativen Ansätzen: So geht etwa Andrew Wallace-Hadrill in seinem Beitrag über Das Leben in der Casa del Citarista von Robert Harris‘ 2003 erschienenem Roman Pompeji aus, dessen Realismus er unterhaltsam auf den Prüfstand stellt.
Da jeder Verfasser seine eigenen Schwerpunkte setzt, lässt sich eine gewisse Heterogenität nicht leugnen, aus der sich natürlich auch ergibt, dass bei einer Lektüre des kompletten Buchs der rote Faden fehlt und sich manches wiederholt oder aber widerspricht. Den wissenschaftlich Interessierten dürfte das weniger stören als den Gelegenheitsleser, der sich vielleicht über ein klareres (damit aber auch geschöntes) Gesamtbild freuen würde.
Jeweils für sich genommen sind jedoch sowohl die Aufsätze als auch die Katalogtexte gelungen, informativ und angenehm zu lesen. Letzteres ist auch der Tatsache zu verdanken, dass hier erfreulicherweise komplett auf den Katastrophenvoyeurismus verzichtet wird, in den Publikationen über Pompeji sonst bisweilen abgleiten. Das Schreckliche wird nicht ausgeblendet – so deuten z.B. Skelettfunde darauf hin, dass auch Bewohner der Casa del Citarista dem Unglück zum Opfer fielen -, aber stets sachlich abgehandelt. Im Mittelpunkt stehen eindeutig Kunst und Lebenswelt der Pompejaner, nicht ihr Untergang.
Einzig daran, ob man exzellenten Kunsthistorikern auch in biologischen Fragen vorbehaltlos trauen sollte, weckt der Katalog dann doch leise Zweifel: Es mag noch Ansischtssache sein, ob unter den pauschal als „Störchen“ klassifizierten Vögeln in einer Gartenszene (Kat.-Nr. 72) nicht auch ein Reiher und ein Kranich sind, aber bei der bronzenen „Hirschkuh“ (Kat.-Nr. 9) mit prächtigem Geweih dürfte es sich doch eher um ein männliches Tier handeln (es sei denn, wir haben es mit dem Rentier von Pompeji zu tun).
Abgesehen davon aber ist dieser schöne Band rundum empfehlenswert und sei nicht nur allen Römerfans ans Herz gelegt.
Übrigens: Wer bis zum 11.1.15 noch Gelegenheit hat, sich die zugehörige Ausstellung in Hamburg anzusehen, sollte die Chance unbedingt nutzen!
Andreas Hoffmann, Michael Philipp, Ortrud Westheider (Hrsg.): Pompeji. Götter, Mythen, Menschen. Hirmer, 2014, 240 Seiten.
ISBN: 978-3777423005