Bee Wilsons Am Beispiel der Gabel ist eigentlich ein Buch, das man von Herzen gern mögen will: Die schöne Aufmachung verheißt Großes, der Ansatz, sich nicht nur den Speisen an sich, sondern primär den bei Zubereitung und Verzehr behilflichen Werkzeugen zu widmen, ist originell, und der charmante Plauderton der Autorin garantiert eigentlich eine leichte und unterhaltsame Lektüre. Wenn man dennoch den Eindruck gewinnt, keinen literarischen Leckerbissen, sondern eher ein halbgares Menü aus Zutaten sehr unterschiedlicher Qualität vor sich zu haben, so ist dies dem Inhalt geschuldet, der einen mehr als einmal staunen lässt – leider nicht immer nur im positiven Sinne.
Im Guten überrascht einen zunächst einmal die Fülle von Themen, die Wilson abdeckt: In den Kapiteln Töpfe und Pfannen, Messer, Feuer, Messen, Zerkleinern, Essen, Eis und Küche (zu denen jeweils noch teilweise sehr knappe Exkurse über Einzelaspekte wie Reiskocher, Eieruhren oder Kaffee hinzukommen) erfährt man eine bunte Auswahl von Einzelheiten über die historische Entwicklung von Kochmethoden und -geräten, Tischsitten und kulturellen Unterschieden. Der geographische Schwerpunkt liegt dabei auf der englischsprachigen Welt (insbesondere Großbritannien und Nordamerika) mit Abstechern nach Kontinentaleuropa und Asien; zeitlich stehen – wohl auch der Quellenlage geschuldet – die Jahrhunderte ab der frühen Neuzeit stark im Vordergrund. So erfährt man allerlei Erstaunliches und Amüsantes, beispielsweise, wie unterschiedliche Messertypen in Asien und Europa die Zubereitung des Essens und darüber wiederum die Tischsitten beeinflussen oder warum in den USA anders als in Europa auch feste Zutaten häufiger nach Volumen als nach Gewicht abgemessen werden. Breiten Raum nimmt die Entwicklung und Ausbreitung moderner Küchenhilfsmittel ein, die sich oft erst gegen Vorurteile und Ängste der Bevölkerung durchsetzen mussten; daneben liest man aber auch von interessanten Experimenten von Foodhistorikern, die z.B. alte Garmethoden (wie etwa das Braten am Spieß) im Vergleich zu heutigen (Bratpfanne und Ofen) erproben.
Wenn Wilsons Buch sich darauf beschränken würde, könnte man es so gut wie uneingeschränkt empfehlen. Leider endet das Vergnügen jedoch sehr schnell an den Stellen, an denen die Autorin über die Wiedergabe von Sachinformationen hinausgeht, um sich an Erklärungen zu versuchen, denn hier vertritt sie mehrfach gelinde gesagt merkwürdige Theorien. Dass sie etwa die Tatsache, dass Frauen in Europa erst relativ spät als professionelle Köche in Erscheinung traten, nicht mit Vorurteilen und dem gängigen Rollenbild erklärt, sondern damit, dass aufgrund ihrer langen Röcke die Arbeit nahe am Feuer zu gefährlich für sie gewesen wäre, ist einigermaßen haarsträubend (zumal sie durchaus erwähnt, dass im häuslichen Rahmen primär Frauen kochten). Auch gibt sie den Thesen des Anthropologen Charles Loring Brace breiten Raum, der erkannt zu haben meint, dass die heute normale Zahnstellung mit einem leichten Überbiss sich erst ab dem 18. Jahrhundert allmählich dank der Einführung der Gabel entwickelt hätte (und in China aufgrund des Essstäbchengebrauchs entsprechend früher), weil vorher die Menschen ihr Gebiss verformt hätten, indem sie sich überwiegend von Fleisch ernährten, das sie mit den Zähnen festhielten, um gleichzeitig Stücke davon abzuschneiden.
Ob die postulierten Beobachtungen zum Gebiss an sich zutreffen, ist für einen Laien schwer zu beurteilen, auch wenn auffällt, dass andere Forscher bei Untersuchungen von Schädeln aus vormodernen Gesellschaften nicht derart flächendeckende Abweichungen vom Neutralbiss feststellen (so findet sich etwa bei den im Rahmen der kroatischen Studie Orthodontic anomalies and malocclusions in Late Antique and Early Mediaeval period in Croatia – Vodanovic et al. 2012 – untersuchten Skeletten aus Spätantike und Frühmittelalter in der Mehrzahl aller Fälle eine normale Gebissstellung). Die von Loring Brace und Wilson favorisierte Erklärung für mögliche Anomalien ist jedoch auch unabhängig von den Ausgangsbeobachtungen problematisch und spekulativ, da sie sich weder mit dem, was wir über historische Tischsitten wissen, noch mit den Ernährungsmöglichkeiten weiter Teile der Bevölkerung (die es sich in vielen Epochen kaum leisten konnten, hauptsächlich von Fleisch zu leben), in Einklang bringen lässt.
Darüber hinaus haben sich zahlreiche Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen, bei denen sich nicht auf den ersten Blick feststellen lässt, ob sie schon im Original standen oder ob das Versehen erst bei Erstellung der deutschen Ausgabe geschehen ist: So werden z.B. die Canterbury Tales des im Jahre 1400 verstorbenen Geoffrey Chaucer auf 1475 datiert, während der Untergang von Pompeji auf 79 v. Chr. (statt 79 n. Chr) vorverlegt wird. Einige Schnitzer gehen aber eindeutig auf Wilsons eigenes Konto, so etwa, wenn sie die Entstehung der Wassermusik in der Regierungszeit des englischen Königs Karls II., der von 1660 bis 1685 herrschte, ansiedelt und einen so ungewollt über die stramme Leistung des jungen Georg Friedrich Händel staunen lässt, der anscheinend schon vor seiner Geburt Meisterwerke komponierte.
Doch Spaß und Bosheit beiseite: Ein paar Irrtümer sind angesichts des breiten Gebiets, das Wilson abzudecken versucht, sicherlich verzeihlich. Gehäuft werfen sie nur unweigerlich die Frage auf, wie sauber die übrigen Fakten recherchiert sind und wie sehr man nun eigentlich seinem neuerworbenen kulturhistorisch-kulinarischen Wissen trauen sollte. Wer sichergehen will, wirklich tragfähige Informationen über die Küche früherer Zeiten zu erhalten, ist mit manch einem älteren Titel weit besser bedient (etwa mit der Kulturgeschichte des Essens und Trinkens von Gert von Paczensky und Anna Dünnebier aus den 90er Jahren).
Bee Wilson: Am Beispiel der Gabel. Eine Geschichte der Koch- und Esswerkzeuge. Insel Verlag, 2014, 374 Seiten.
ISBN: 978-3458176190