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Der Tod der Tribune

Im Jahr 133. v. Chr. wurde der römische Volkstribun Tiberius Gracchus, der weitreichende Bodenreformpläne durchzusetzen versucht hatte, erschlagen, zwölf Jahre später sein jüngerer Bruder Caius, der im selben Amt noch ehrgeizigere Vorhaben als Tiberius verfolgt hatte, in den assistierten Selbstmord getrieben. Der Tod der Tribune (auch wenn Caius bei seinem Ableben streng genommen gar kein Volkstribun mehr war) ist nicht nur titelgebend für Charlotte Schuberts lesenswertes Buch über Biographie, Politik und Nachwirkung des Brüderpaars. Sie nimmt auch, statt streng chronologisch zu erzählen, die Ermordung des Tiberius Gracchus zum Ausgangspunkt ihrer gesamten Darstellung, markiert doch der Angriff hasserfüllter Senatoren auf den eigentlich dem Gesetz nach unantastbaren Volkstribun einen Wendepunkt in der Geschichte der römischen Republik, deren letztes Jahrhundert in erheblichem Maß von tödlicher Gewalt gegen politische Gegner geprägt war.

Besonders gut gelingt es Schubert dabei, die größeren Zusammenhänge greifbar zu machen und anschaulich zu zeigen, welche Verbindungen zwischen den Reformvorhaben der Gracchen einerseits und der stoischen Philosophie, den römischen Eroberungen auf der iberischen Halbinsel, der Zerstörung Karthagos, dem Fall des Königreichs Pergamon an die Römer und dem Aufstand des Aristonikos andererseits bestanden.

Die gracchischen Reformen selbst beurteilt sie differenziert und verdeutlicht, dass ihre im allgemeinen Bewusstsein häufige Reduktion auf eine reine Bodenreform und Landumverteilung zu kurz greift, um die politische Sprengkraft zu erfassen, die ihnen innewohnte. Wenn es auch zu weit gehen würde, den Brüdern zu unterstellen, eine auch nach modernem Verständnis echte Demokratisierung Roms angestrebt zu haben, sieht Schubert in ihrem Handeln doch eine Politik verwirklicht, die sich eher an ethischen Kriterien (und dem Wunsch nach Gerechtigkeit für breitere Kreise als bisher) ausrichtete als allein an persönlichem Machtstreben oder den Interessen der herrschenden Aristokratie. Auch macht sie deutlich, dass die Gracchen nicht in dem Maße, wie oft unterstellt wird, gescheiterte Reformer waren, sondern trotz des tragischen Endes, das sie beide fanden, erstaunlich viel bewegen konnten.

Neben einer Schilderung und Deutung der Ereignisse des 2. vorchristlichen Jahrhunderts selbst ist der Althistorikerin aber auch wichtig, das Nachleben der Brüder sowohl in der Antike als auch in der Neuzeit auszuloten, werden sie doch schon in den Quellen sehr unterschiedlich bewertet (so etwa eher mit Sympathie bei Plutarch, dagegen aber bei Cicero, der gar versuchte, den Tod des Tiberius als Präzedenzfall für sein eigenes brutales Vorgehen gegen die Catiliniarier zu nutzen, negativ). Verschiedene Aspekte der Rezeption – so etwa auch die Verehrung, die Cornelia, die Mutter der Brüder, schon im Altertum, aber auch später jahrhundertelang in Kunst und Literatur genoss – dienen Schubert dabei als Ansatzpunkte, noch weitere Themen abseits der Schwerpunkte ihres Buchs zu erkunden (in Cornelias Fall beispielsweise die Einflussnahme von Frauen der römischen Oberschicht auf politische Prozesse, von denen sie offiziell zwar ausgeschlossen waren, in die sie jedoch immer wieder auf Umwegen einzugreifen vermochten).

Obwohl Der Tod der Tribune sich an ein allgemeines Publikum richtet und auch z. B. durch ein Glossar und ein kommentiertes Verzeichnis der Quellenautoren um Zugänglichkeit bemüht ist, bringt diese nichtlineare Vorgehensweise es mit sich, dass ein paar Vorkenntnisse über die römische Geschichte beim Verständnis zumindest nicht schaden (auch wenn sie vielleicht nicht so zwingend erforderlich sind, wie sie es bei einem Fachtext wären). Anregend und interessant liest sich der frische Blick auf die Gracchen jedoch allemal und berührt mit den Fragen nach sozialem Ausgleich, politischer Teilhabe und Gewalt als Mittel zum Machterhalt oder -gewinn auch zahlreiche Problemfelder, die nicht allein an die Antike gekoppelt sind, sondern bis heute Aktualität besitzen.

Charlotte Schubert: Der Tod der Tribune. Leben und Sterben des Tiberius und Caius Gracchus. München. C. H. Beck, 2024, 304 Seiten.
ISBN: 978-3-406-81372-6


Genre: Geschichte