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1066. Englands Eroberung durch die Normannen

Die Eroberung Englands durch die Normannen im Jahre 1066 gilt bis heute als wichtige Zäsur nicht nur in der britischen, sondern in der europäischen Geschichte insgesamt und verfügt mit dem Teppich von Bayeux auch über eine der eindrucksvollsten historischen Quellen überhaupt. Entsprechend viel ist zu dem Thema schon geschrieben worden. Dominik Waßenhoven fügt mit 1066 dieser Literatur eine kompakte, transparent quellenkritische und gut lesbare Einführung hinzu, die allerdings an einer nicht hundertprozentig einleuchtenden Entscheidung bezüglich der Darstellungsreihenfolge krankt.

Das Positive zuerst: Waßenhoven beschreibt mit viel Sachverstand Ursachen, Verlauf und Folgen des Konflikts, der in der Schlacht bei Hastings (14. Oktober 1066) zwischen dem normannischen Herzog Wilhelm dem Eroberer und dem angelsächsischen König Harold Godwinson, der dabei den Tod fand, kulminierte. Besonders greifbar werden in seiner Schilderung die engen familiären, diplomatischen, aber auch immer wieder kriegerischen Kontakte, die es zwischen den Eliten Englands, der Normandie und Skandinaviens im 11. Jahrhundert gab. England selbst erscheint als einerseits erfolgreich kosmopolitisches und vielsprachiges, andererseits aber auch von Machtkämpfen der Führungsschicht in sich zerrissenes Gebiet, in dem schon zwischen den kurz aufeinanderfolgenden Eroberungsversuchen durch Harald den Harten von Norwegen (der bei Stamford Bridge scheiterte) und durch Wilhelm (der erfolgreich war, seine Herrschaft aber auch nach Hastings noch brutal gegen erhebliche Widerstände durchsetzen musste) nicht unbedingt Ruhe und Frieden herrschten. Rücksichtslosigkeit oder gar Grausamkeit war dabei auf allen Seiten nicht nur gegenüber politischen Gegnern – bisweilen einschließlich eigener Verwandter – an der Tagesordnung, sondern auch im Umgang mit der einfachen Bevölkerung.

Dass gerade Wilhelm sich durchsetzen konnte, war mithin nicht vorgezeichnet, und Waßenhoven macht eindringlich deutlich, dass die von ihm bejahte Charakterisierung von 1066 als „Epochenjahr“ (S. 117) sich daraus ergibt, dass die Eroberung Englands durch die Normannen und daraus resultierende Vereinigung der Herrschaft über England und die Normandie längerfristig Bestand hatten, was mehreren historischen Zufällen geschuldet war.

Diesem Bewusstsein, dass die Konsolidierung von Wilhelms Herrschaft nach 1066 letztlich entscheidender war als die Eroberung an sich, ist möglicherweise auch der Einfall geschuldet, die chronologische Nacherzählung und Deutung der Ereignisgeschichte mit einem eigenen Kapitel zum Thema Legitimation und Interpretation zu durchbrechen, das zwischen der Darstellung des Widerstands gegen Wilhelm nach 1066 und dem abschließenden Abschnitt über die Folgen der Eroberung eingefügt ist. Waßenhoven untersucht darin minutiös, wie Wilhelms und Harolds Thronansprüche jeweils begründet wurden, und kommt zu dem interessanten Schluss, dass angesichts von Unterschieden im normannischen und angelsächsischen Recht durchaus beide Männer jeweils davon ausgegangen sein könnten, der legitime Nachfolger Eduards des Bekenners zu sein.

Aufgrund der Auslagerung dieser Überlegungen in ein eigenes Kapitel fehlen jedoch Eduards Nachfolgeregelungen (die vermutlich erst Wilhelm, dann Harold bevorzugten) in den ansonsten relativ linear aufgebauten Ausführungen zum Vorlauf der Eroberung. Wilhelms Entschluss, in England einzufallen, wird hier zunächst nicht weiter motiviert. In einer Einführung, die ansonsten – auch dank eines Glossars und übersichtlicher Stammbäume und Karten – sehr gut darauf ausgelegt ist, einem fachfremden Publikum ohne größere Vorkenntnisse das Verständnis der historischen Vorgänge zu erleichtern, ist diese Auskoppelung darum nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar.

Sieht man von diesem Detail ab, bietet 1066. Englands Eroberung durch die Normannen jedoch einen soliden Überblick, der sich für alle eignet, denen etwa Jörg Peltzers empfehlenswertes ausführlicheres Buch über dieselben Ereignisse zu umfangreich ist.

Dominik Waßenhoven: 1066. Englands Eroberung durch die Normannen. München, C.H. Beck, 2016, 128 Seiten.
ISBN: 978-3-406-69844-6


Genre: Geschichte