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Das antike Rom

Viele Überblicksdarstellungen zum antiken Rom sind als Einführungen in die Geschichte des nach und nach zum Großreich aufgestiegenen Staatswesens und seiner Provinzen konzipiert. Frank Kolb wählt in seinem Buch Das antike Rom einen anderen Ansatz und erzählt primär eine anregende und gut lesbare Stadt- und Architekturgeschichte von den bescheidenen Anfängen der frühen Eisenzeit bis ins 6. nachchristliche Jahrhundert, in dem die antike Bausubstanz allmählich zu verfallen begann. Die Informationen zu Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Religion sind dabei in eine lebendige Schilderung des Werdens und Wachsens der Stadt und ihrer Gebäude eingeflochten. Stadt- und Grundrisspläne, Rekonstruktionszeichnungen und Fotos machen das im Text geschilderte auch visuell gut nachvollziehbar und bieten schlaglichtartige Einblicke in unterschiedliche Entwicklungsstadien Roms.
Kolb ist insbesondere bemüht, die legendenumwobene römische Frühgeschichte zu entmythologisieren und im Zweifelsfalle erhaltene Reste von Bauwerken eher späteren Epochen zuzuordnen als der Königszeit, in die eine sagenhafte Überlieferung sie oft verweist. Allerdings überzeugt dabei nicht jedes Argument restlos. Wenn etwa einer unter dem sogenannten lapis niger auf dem Forum Romanum gefundenen Inschriftenstele mit der Begründung eine Datierung ins 6. Jh. v. Chr. abgesprochen wird, sie bestehe „aus Grotta-Oscura-Tuff, dessen Steinbrüche die Römer erst nach der Eroberung von Veii im Jahr 396 nutzen konnten“ (S. 11), fragt man sich, ob das Material der Stele nicht auch schlicht durch Handel mit den Etruskern nach Rom gelangt sein könnte, bevor die Römer den Steinbruch selbst kontrollierten. Das heißt zwar noch nicht, dass die Spätdatierung notwendigerweise falsch sein muss, aber man wünscht sich doch, Kolb würde ein schlüssigeres Indiz dafür anführen als ausgerechnet dieses angreifbare.
Auf sichereren Füßen steht die Darstellung ab der republikanischen Zeit, in der sich Rom von einer eher bescheidenen Siedlung allmählich zur Hauptstadt eines immer größeren Reichs mauserte und die Stadtarchitektur zum Spiegel eines politischen Systems und seiner sakralen Unterfütterung wurde. Folgerichtig entwickelte sie sich in der späten Republik zum Betätigungsfeld einzelner Selbstdarsteller: Die Rivalen Pompeius und Caesar traten jeweils durch ehrgeizige Bauprojekte hervor, die ihre Machtposition unterstrichen. Diese Tendenz setzte sich in der Kaiserzeit ungebrochen fort, in der die monarchische Repräsentation vermehrt Anregungen aus der mittlerweile eroberten hellenistischen Welt aufgriff.
Mit der Spätantike und der Durchsetzung des Christentums wurde Rom zu einer Stadt der Kirchen, hatte aber zugleich mit einer schwindenden Einwohnerzahl und den politischen wie kriegerischen Verwerfungen der Zeit zu kämpfen. Den entscheidenden Einschnitt im Bemühen um eine Erhaltung der antiken Gebäude und der überkommenen administrativen und sozialen Traditionen sieht Kolb jedoch nicht im sonst gern als Anfangsdatum des Mittelalters apostrophierten Ende der Weströmischen Kaiserherrschaft (476 n.Chr.), sondern erst nach der Zerschlagung des Ostgotenreichs im 6. Jahrhundert. Erst jetzt brach auch für die Stadt selbst endgültig eine neue Zeit an, und das titelgebende antike Rom war Geschichte.
Alles in allem bildet der Band eine Art anschaulichen Reiseführer durch die Jahrhunderte, der einem stärker als viele andere Bücher deutlich macht, wie sehr Rom trotz aller Gebietserweiterungen bis zum Schluss vom weite Teile des Altertums dominierenden Modell des Stadtstaats geprägt war. Der immer wieder speziell auf einzelne Bauwerke und ihre Funktion gerichtete Blick macht das städtische Leben und in Ansätzen auch die damit verbundene Mentalität gut nachvollziehbar. Wer das alte Rom auch abseits der reinen Ereignisgeschichte besser kennenlernen möchte, findet hier daher einen spannenden Zugang.

Frank Kolb: Das Antike Rom. Geschichte und Archäologie. 2. Auflage München, C.H. Beck, 2009, 128 Seiten.
ISBN: 978-3406536076


Genre: Geschichte