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Mysterienkulte der Antike

Neben der eng mit Stadt und Staat verknüpften offiziellen Verehrung des griechisch-römischen Pantheons und der rein privaten Frömmigkeit fand sich in der Antike noch eine dritte wichtige Form der Religionsausübung: Mysterienkulte verhießen den Eingeweihten eine besondere Nähe zu speziellen Gottheiten und gestatteten ihnen, ihren Glauben gemeinschaftlich mit anderen zu leben. Nicht zuletzt aufgrund der Ansätze zu einer Gemeindestruktur und der Jenseitshoffnungen, die oft mit den Mysterien verknüpft waren, sind immer wieder Parallelen zwischen diesen Kulten und dem frühen Christentum gezogen worden.
Hans Kloft blendet diese Perspektive in seiner ebenso kompakten wie kenntnisreichen Einführung Mysterienkulte der Antike nicht aus, warnt aber zu Recht davor, das Phänomen der Mysterienkulte ausschließlich aus dem Wissen um den letztendlichen Triumph des Christentums heraus zu deuten. Vielmehr zielt er auf eine Einordnung in den breiteren Kontext antiker Religiosität ab. Fallstudienartig stellt er zu diesem Zweck zunächst fünf bedeutende Mysterienkulte ausführlich vor, nämlich die der Demeter, des Dionysos, der Isis, der Kybele und des Mithras (andere Kulte, wie z.B. der der Kabiren, werden im weiteren Verlauf eher kursorisch abgehandelt).
Mit allen gebührenden Einschränkungen – kein Kult vereint idealtypisch alle Elemente – entwickelt der Autor daraus ein Schema dessen, was die Mysterienkulte ausmachte. Zumeist stand eine auch in der öffentlichen Religionsausübung der jeweiligen Herkunftsregion verehrte Gottheit im Mittelpunkt. Häufig war sie im Spannungsfeld um Fruchtbarkeit, Tod und neues Leben angesiedelt. In einer bisweilen mehrstufigen Initiation erwarben die Mysten ein besonderes Geheimwissen über diese Gottheit, das Aussicht auf ein besseres Dasein im Jenseits, aber auch ethische Regeln fürs diesseitige Leben und Kontakt zu Gleichgesinnten über die sozialen Barrieren des Alltags hinweg ermöglichte. Das Verhältnis zu den herrschenden Eliten blieb ambivalent: Punktuelle Verfolgungen (wie sie z.B. den Isiskult im republikanischen Rom nach einem Skandal um sexuellen Missbrauch trafen) standen einer Förderung der Mysterien durch die Mächtigen gegenüber. So wussten sich etwa verschiedene hellenistische Herrscher dem Dionysoskult besonders verbunden.
Ohnehin waren Hellenismus und Römerzeit mit ihren ausgedehnten Reichen, in denen Soldaten, Kaufleute, Seefahrer und Sklaven weit herumkamen, der Ausbreitung der Mysterien förderlich. Dem Christentum mit seiner strafferen Organisationsstruktur und nicht zuletzt auch seiner schriftlichen Grundlage, die eine Tradierung sehr erleichterte, war die bunte Vielfalt von Kulten jedoch letztlich nicht gewachsen. Mit dem Glauben ging in diesem Fall auch das nur einem begrenzten Personenkreis zugängliche Wissen um seine konkreten Inhalte unter. Kloft weiß durchaus den Reiz dieser Rätselhaftigkeit heraufzubeschwören, obwohl er in seinen Deutungen angenehm nüchtern bleibt und vor Generalisierungen und übertriebenen Spekulationen warnt. So führt er wissenschaftlich redlich und doch mit feinem Gespür für die Schönheit des Geheimnisvollen und nicht mehr Erforschbaren an das komplexe religionshistorische Phänomen heran. Kein Wunder also, dass die Mysterienkulte der Antike schon ihre fünfte Auflage erleben!

Hans Kloft: Mysterienkulte der Antike. München, C.H. Beck, 5., aktualisierte Aufl. 2019, 128 Seiten.
ISBN: 9783406736599


Genre: Geschichte