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Theoderich der Große

Der ostgotische König Theoderich (†  526) war ein Mann voller Widersprüche: Als Sohn eines germanischen Herrschers wuchs er als Geisel am oströmischen Kaiserhof zwischen den Kulturen auf. Im weiteren Verlauf seines Lebens jahrelang als Kriegsherr aktiv und dabei brutal genug, seinen größten Widersacher Odoaker eigenhändig zu erschlagen, etablierte er, nachdem er die Macht in Italien errungen hatte, eine im Innern jahrzehntelang größtenteils friedliche Herrschaft. Darüber hinaus war er bestrebt, durch Heiratsbündnisse und diplomatische Interventionen auch eine Art Friedensordnung unter den Nachfolgestaaten des weströmischen Reichs zu schaffen – ein Projekt, das nicht zuletzt an der Eroberungslust der Merowinger scheiterte.

Sein zweiter großer Misserfolg war der, dass er – wie übrigens viele völkerwanderungszeitliche Könige – keine Dynastie zu begründen vermochte, die ihn lange überdauert hätte: Ein als Nachfolger ausersehener Schwiegersohn starb noch vor ihm, auch der am Ende tatsächlich nachrückende Enkel fand einen frühen Tod, und weder Theoderichs Tochter Amalasvintha noch sein Neffe Theodahad, der seine Cousine stürzte, konnte sich lange halten. Unter rasch wechselnden Herrschern steuerte das Ostgotenreich dem Untergang entgegen und blieb letztlich eine kurze Episode der Weltgeschichte.

Theoderichs quellenmäßig für eine Person der Spätantike außergewöhnlich gut fassbares, aber doch mit manch einem Fragezeichen aufwartendes Leben zeichnet Hans-Ulrich Wiemer in seiner packenden Biographie Theoderich der Große. König der Goten – Herrscher der Römer nach. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei Theoderichs Ansatz einer „Integration durch Separation“: Die Goten, die mit ihm nach Italien gelangt waren, dienten auch dort weiterhin als militärische Funktionselite und sollten sich ihre religiösen und kulturellen Eigenheiten bewahren, während der noch bestehende spätrömische Verwaltungsapparat ebenso unangetastet blieb wie die katholische Kirche, obwohl der selbst homöische (arianische) König dieser eigentlich als Ketzer galt.

Die Koexistenz bekam wohl erst gegen Ende von Theoderichs Herrschaft merkliche Risse, als in einem spektakulären Hochverratsprozess mehrere römische Senatoren, darunter der berühmte Philosoph Boethius, vermutlich unschuldig zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Neben solchen Demonstrationen kompromissloser Härte lässt die Überlieferung hier und da aber auch unerwartet sympathische Züge des Königs erahnen (so z.B. seine Ablehnung der als Volksbelustigung veranstalteten Tierhetzen, seine für die Zeit ungewöhnliche Toleranz den Juden gegenüber oder sein Interesse an der Gartenarbeit).

Trotz der Fülle des in eingängigen Übersetzungen präsentierten Quellenmaterials fällt es daher schwer, sich nach modernen Maßstäben ein klares Urteil über Theoderich zu bilden, und ähnlich scheint es auch Wiemer selbst zu gehen. Als wie gelungen und sinnvoll er Politik und Lebensleistung seines Protagonisten bewertet, bleibt vage, fast so, als würde er sich in dem Wissen um die historische Bedingtheit jeder Einschätzung geschichtlicher Vorgänge eine eindeutige Position versagen. Umso ausführlicher kommen dafür in einem ans Ende des Buchs gestellten Forschungsüberblick andere zu Wort, die seit der Renaissance über Theoderich schrieben und ihn auf ganz verschiedene Art deuteten, ob nun aus der Perspektive der Aufklärung oder der eines dumpfen Nationalismus. Dieser Spaziergang durch das Nachleben Theoderichs bis in die heutige Zeit liest sich spannend und regt auch zur Reflexion darüber an, ob man nicht bisweilen selbst dazu neigt, vergangene Epochen und Persönlichkeiten im Sinne der eigenen Sichtweise zu vereinnahmen. Recht knapp geraten ist dagegen leider der Abschnitt über die mittelalterliche Theoderich-Rezeption, also insbesondere der Dietrichepik (aber vielleicht verrät der Wunsch nach mehr Detailfreude hier auch nur die Germanistinnenperspektive der Rezensentin).

Alles in allem wird so schnell jedoch niemand, der sich für Theoderich interessiert, an Wiemers auch üppig mit Bild- und Kartenmaterial ausgestatteter Biographie vorbeikommen. Die umfangreiche Untersuchung hat beste Chancen, zu einem der Standardwerke auf dem Gebiet zu werden.

Hans-Ulrich Wiemer: Theoderich der Große. König der Goten – Herrscher der Römer. Eine Biographie. München, C. H. Beck, 2018, 782 Seiten.
ISBN: 978-3406719080

 


Genre: Biographie