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Karl V.

Herr über ein Reich, in dem sprichwörtlich die Sonne nicht unterging, dem Katholizismus treu gebliebener Herrscher der Reformationszeit, Gründergestalt der spanischen Linie des Hauses Habsburg und durch seine freiwillige Abdankung im Kreis der Renaissancefürsten Europas eine Ausnahme – es sind viele Assoziationen, die sich mit Karl V. (1500 – 1558) verbinden. Für Heinz Schilling ist er jedoch auch und vor allem Der Kaiser, dem die Welt zerbrach (so der Untertitel der vorliegenden Biographie).

Die Betonung der Amtsbezeichnung hat dabei durchaus Methode. Denn obwohl Karls Leben von seiner Kindheit in Burgund an über zahlreiche Reisen und Kriegszüge, die ihn durch halb Europa und darüber hinaus führten, bis zu seinem Tod in der Abgeschiedenheit des spanischen Klosters Yuste gut dokumentiert ist und durchaus auch Selbstzeugnisse vorliegen, bleibt der Mensch hinter der bisweilen widersprüchlich handelnden Herrscherpersönlichkeit schwer zu fassen. Bis auf einzelne Details wie die Freude an einer großen Uhrensammlung, eine Vorliebe für reichhaltiges Essen und eine offenbar sehr ausgeprägte Spinnenphobie bleibt bei Karl alles noch besser hinter einer vom rigiden Hofzeremoniell gestützten Fassade verborgen als bei seinen Zeit- und Standesgenossen.

Zwei prägende Züge kann Heinz Schilling in seiner Betrachtung des Kaisers aber doch herausarbeiten: eine tiefe Frömmigkeit und ein Bewusstsein der eigenen Auserwähltheit, das Karl dazu trieb, von sich selbst wie von anderen die Unterwerfung unter die von ihm für richtig gehaltenen dynastischen, religiösen und politischen Prinzipien zu verlangen. Was sich im persönlichen Umfeld – etwa bei Heiratsprojekten – unter unmenschlicher Vernachlässigung des psychischen und sonstigen Wohlbefindens der Betroffenen noch mehr oder minder durchsetzen ließ, musste im größeren Rahmen scheitern.

Denn der aus diesen Überzeugungen abgeleitete Universalismusanspruch, der Karl auf eine ungeteilte Christenheit und ein den Vorrang in ganz Europa beanspruchendes, wenn nicht gar weltumspannendes Kaisertum pochen ließ, war in einer Epoche nicht mehr durchzusetzen, in der sich neben dem Beginn der Konfessionalisierung auch erste Vorboten einer Herausbildung von Nationalstaaten regten. Karls durch Zufälle der Erbfolge zusammengekommenes Reich hatte denn auch keinen Bestand über seine Abdankung hinaus. Die von ihm vorgegebene kompromisslose Linie in Religionsfragen und vor allem auch seine von aus heutiger Sicht relevanten ethischen Überlegungen unberührte Förderung der Kolonisierung Amerikas sollten jedoch Bestand haben und damit die Weltgeschichte für die folgenden Jahrhunderte in eine teilweise verheerende Richtung lenken.

Heinz Schillings Biographie Karls V. ist damit weniger ein Lebens- und Charakterbild eines einzelnen Mannes als ein Ausloten der Weichenstellungen, die am Beginn der Neuzeit erfolgten und bis heute für uns alle prägend geblieben sind. Dieser Stoßrichtung trägt auch der Aufbau des Buchs Rechnung, der zwar auf den ersten Blick chronologisch zu sein scheint, in Wirklichkeit aber eher thematisch geordnet ist. In jedem der mit einem Ort und einem Datum oder Jahr betitelten Kapitel wird um ein wichtiges Ereignis aus Karls Leben herum – sei es seine Geburt, die Begegnung mit Luther in Worms, der Tunisfeldzug oder die Schlacht bei Mühlberg – mit Vor- und Rückgriffen in andere Phasen ein bestimmter Schwerpunkt erläutert.

Insgesamt liest sich das gut und durchaus anregend. Leider haben sich hier und da  Ungenauigkeiten eingeschlichen, was bei der schieren Fülle des Stoffs verständlich, aber doch bedauerlich ist. So ist in Bezug auf Karl V. z.B. von „seiner Großmutter Margarete von York“ (S. 67) die Rede, während Margarete in Wirklichkeit die Stiefmutter seiner Großmutter Maria von Burgund war. Solche kleinen Fehler stören den Gesamteindruck des Epochenpanoramas zwar nicht sehr, aber man hätte sich doch gewünscht, dass sie im Zuge des Lektorats aufgefallen wären, vor allem, da es sich nicht um die erste Auflage des Buches handelt.

Heinz Schilling: Karl V. Der Kaiser, dem die Welt zerbrach. 2., durchges. Aufl. München, C. H. Beck, 2020, 464 Seiten.
ISBN: 978-3-406-74899-8


Genre: Biographie