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Die Hethiter

Obwohl sie zu den großen Kulturen des bronzezeitlichen Orients zählen, waren die Hethiter lange im allgemeinen Bewusstsein weit weniger präsent als ihre mesopotamischen oder ägyptischen Zeitgenossen. Bis auf einige biblische Erwähnungen aus ihrer Spätzeit gerieten sie größtenteils in Vergessenheit. Erst im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden ihre diplomatische Korrespondenz vor allem mit Ägypten, die Ruinen ihrer Hauptstadt Hattusa und ihre indogermanische Sprache wiederentdeckt.
Konsequenterweise beginnt Jörg Klinger daher seine lesenswerte Einführung Die Hethiter mit einem forschungshistorischen Überblick, um dann in zwei ereignisgeschichtlichen Abschnitten und einem zwischen diesen eingefügten Kapitel zur hethitischen Kultur dem auch heute noch in vielerlei Hinsicht rätselhaften Volk nachzuspüren. Denn während die politische und zum Teil auch die religiöse Geschichte aufgrund von in Tontafelarchiven und Inschriften erhaltenen Briefen, historiographischen Texten, Kultschilderungen und dergleichen mehr recht gut rekonstruiert werden können, fehlen im administrativen und sozialen Bereich oft die passenden Schriftquellen, um archäologische Funde korrekt zu deuten. Dies hängt auch mit dem jeweils gewählten Beschreibstoff zusammen, denn viele Urkunden waren auf Holz oder Metall festgehalten und wurden so im Laufe der Zeit entweder zerstört oder wiederverwertet.
Auch wenn man sich also an manchen Stellen der frustrierenden Situation gegenübersieht, dass das, was man gern noch wissen würde, auf Grundlage der uns zugänglichen Überlieferung schlicht und einfach nicht mehr zu ermitteln ist, bietet das Vorhandene interessante Informationen. Klinger schildert sachlich und unter Verzicht auf übertriebene Spekulationen den Aufstieg eines Verbands gemischter ethnischer Herkunft, der sich im frühen 2. Jahrtausend v. Chr. zunächst wohl nur durch Raubzüge im anatolischen und kleinasiatischen Raum hervortat, zur Hochkultur und zum ab ca. 1600 v. Chr. immer stärker als Großmacht agierenden Königreich, dessen Herrscher im 14. und 13. Jahrhundert v. Chr. den Pharaonen auf Augenhöhe begegnen konnten.
Es ist vor allem diese Epoche, die auch Laien immer wieder neugierig auf die Hethiter macht. So ist die Schlacht bei Kadesch (von Klinger auf 1275 v. Chr. datiert, sonst oft auf 1274 v. Chr.) auch aufgrund der Tatsache, dass der bis heute bekannte und populäre Pharao Ramses II. darin den Hethitern gegenüberstand, sicher vielen Geschichtsbegeisterten ein Begriff. Auch die Frage nach einer möglichen Historizität des Trojanischen Kriegs und einer Identität des aus hethitischen Dokumenten bekannten Ortsnamens „Wilusa“ mit Ilion/Troja führt in diese Zeit zurück. Selbst hier referiert Klinger ungeachtet aller aufgeheizten Forschungsdebatten zum Thema knapp und angenehm nüchtern, ohne sich in Hypothesen zu versteigen.
Weshalb genau es um 1200 v. Chr. zum Zusammenbruch des Hethiterreichs, zur Aufspaltung seiner Überreste in mehrere kleinere Staaten und zur Aufgabe von Hattusa als Hauptstadt kam, ist Klingers Auffassung nach mehr oder minder ungeklärt. Die Annahme, der aus ägyptischen Quellen bekannte Seevölkersturm habe auch das Hethiterreich hinweggefegt, wertet er als überholt und favorisiert eher ein Ursachenbündel aus Missernten und inneren Wirren, zu dem dann ergänzend militärische Niederlagen und Wanderungsbewegungen hinzugekommen sein könnten (eine Einschätzung, die der von Eric H. Cline ähnelt).
So bleibt auch diese nicht unwichtige Frage wie so manche im Laufe des Buchs am Ende offen. Lust darauf, sich noch eingehender mit den Hethitern zu befassen, hat man aber nach der Lektüre ohnehin auf alle Fälle.

Jörg Klinger: Die Hethiter. München, C.H. Beck, 2. durchgesehene Auflage 2012, 128 Seiten.
ISBN: 9783406536250


Genre: Geschichte