Standen traditionell eher das klassische Athen oder der Hellenismus im Fokus der Forschung über die Griechen der Antike, ist seit einigen Jahren ein verstärktes Interesse an der archaischen Epoche zu beobachten (man denke etwa an Robin Lane Fox‘ Reisende Helden oder an Elke Stein-Hölkeskamps Die Stadt und das Meer). Auch Klaus Bringmann nimmt sich nun in Im Schatten der Paläste der Archaik und der vorausgehenden Dunklen Jahrhunderte an, in denen sich nach dem Ende der Mykenischen Kultur allmählich das herausbildete, was wir als spezifisch griechisch begreifen.
Große Einheitlichkeit ist damit freilich nicht impliziert, denn Griechenland war in der Antike alles andere als ein politisch homogenes Gebilde und bestand aus über 1000 zumindest nominell unabhängigen Gemeinwesen, die sich in ihrer inneren Organisation, ihren Dialekten und in ihrem Selbstbild oft erheblich voneinander unterschieden. Für die meisten dieser Poleis ist die Quellenlage weit dürftiger als für die bekannten Beispiele Athen und Sparta, die spätestens mit dem Ende der archaischen Zeit (die für Bringmann in den Perserkriegen ihren Abschluss findet) zu überregional bedeutenden Mächten aufstiegen.
Die Geschichte des frühen Griechenlands – so der Untertitel – lässt sich daher nicht als kontinuierliche Ereignisfolge erzählen, sondern eher als Tableau langfristiger kultureller und sozialer Entwicklungen, die bei aller heterogenen Kleinstaaterei Gemeinsamkeiten zeigen.
Neben der Religion, die durch allgemein anerkannte Kultstätten (wie etwa das Orakel von Delphi) und Veranstaltungen (z.B. die Olympischen Spiele) als verbindendes Element wirkte, erschließen sich in Bringmanns Perspektive vor allem zwei Faktoren, die für den gesamten griechischen Raum prägend waren. Zum einen ist dies die relativ krage Landwirtschaft, die nicht allen ein einträgliches Auskommen bot und so viele in den Seehandel, die Piraterie oder die Koloniegründung trieb, zum anderen aber die gesellschaftliche Dominanz einer in permanenter interner Konkurrenz lebenden Adelsschicht. Sowohl das Wetteifern untereinander (sei es in kriegerischen Auseinandersetzungen oder friedlicher in Sport und Prachtentfaltung) als auch familiäre und freundschaftliche Bindungen endeten für diese Elite nicht an den Grenzen des Stadtstaats oder auch nur des griechischen Sprachraums. Wie diverse Einzelschicksale zeigen, war für viele führende Griechen auch der Wechsel in die Dienste des persischen Großkönigs durchaus eine Option.
Dementsprechend erteilt Bringmann auch allen Interpretationen der Perserkriege als Kampf zwischen Europa und Orient oder gar Freiheitsliebe und monarchischer Unterdrückung eine Absage, ohne jedoch die geistesgeschichtliche Bedeutung dieser Einschätzung zu negieren. Für ihn ist vielmehr auch dieser Konflikt ein Auswuchs des immer weiter gesteigerten Ringens um Vorrang und Einfluss, das innenpolitisch – mit Ausnahme von Sonderfällen wie Sparta – letztlich nur in zwei gegenläufige Entwicklungen münden konnte: die Durchsetzung der Herrschaft eines Einzelnen, wie sie in der Tyrannis manifest wurde, oder die institutionelle Verhinderung eines solchen Ungleichgewichts durch die Kontrollmechanismen einer Demokratie.
Dies alles wird angenehm quellennah mit ausführlichen Zitaten aus zeitgenössischen literarischen Werken vermittelt. Positiv fallen auch die ausführlichen Bildunterschriften der zahlreichen Illustrationen auf, die so besser als in vielen anderen Publikationen erläutert und in den Kontext eingeordnet werden.
Zu allen spekulativen Theorien bleibt Bringmann dagegen auf Distanz und stützt sich gerade in Fällen, in denen in den letzten Jahren viele neue Hypothesen aufgestellt worden sind (z.B. beim sogenannten Seevölkersturm oder bei der Dorischen Wanderung), auf bewährte Erkenntnisse.
Um einen soliden Überblick über die griechische Frühzeit zu gewinnen, ist Im Schatten der Paläste also bestens geeignet. Wer noch tiefer ins Thema einsteigen möchte, findet in der ausführlich kommentierten Bibliographie gegen Ende des Bandes fundierte Hinweise.
Klaus Bringmann: Im Schatten der Paläste. Geschichte des frühen Griechenlands. Von den Dunklen Jahrhunderten bis zu den Perserkriegen. München, C. H. Beck, 2016, 416 Seiten.
ISBN: 9783406697166