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Hatschepsut

Selbstverständlich ist jeder Mensch irgendwann einmal gezeugt worden, aber dass eine Biographie mit einer handfesten Liebesszene einsetzt, begegnet einem dennoch selten. In Peter Nadigs Hatschepsut hat diese ungewöhnliche Herangehensweise jedoch durchaus ihre Berechtigung, gehörte doch die Annahme, der jeweilige König sei ein Kind des Gottes Amun, zu den zentralen Punkten der Herrschaftsideologie im alten Ägypten – auch in den Fällen, in denen der König eine Frau war, wie eben die Protagonistin dieser quellennah und flüssig geschriebenen Darstellung.
Eine regierende Königin war in Ägypten nicht vorgesehen, ein weiblicher König hingegen nicht undenkbar, aber äußerst selten. Auch Hatschepsut (die als Mitglied der 18. Dynastie im 15. Jahrhundert v. Chr. lebte) war eigentlich nicht von Anfang an zur Herrscherin bestimmt. Die Königstochter schlug als Gemahlin ihres Halbbruders Thutmosis II. zunächst einen für eine Frau ihrer Epoche und gesellschaftlichen Stellung nicht ungewöhnlichen Weg ein. Auch dass sie nach dem frühen Tod ihres Mannes die Regentschaft für ihren Neffen Thutmosis III. übernahm, entsprach durchaus den Erwartungen.
Nicht mehr rekonstruierbar ist dagegen, weshalb sie sich nach einigen Jahren entschloss, sich selbst zum König krönen zu lassen, ohne jedoch Thutmosis III. zu verdrängen. Diese singuläre Doppelherrschaft bedurfte besonderer Legitimationsstrategien, die sich unter anderem darin niederschlugen, dass Hatschepsut sich immer häufiger mit männlichen Körpermerkmalen abbilden ließ, ohne jedoch auch textlich ihr Geschlecht zu verschleiern. Auch wenn Teile dieser Selbstdarstellung unter der späteren Alleinherrschaft Thutmosis III. gezielt vernichtet wurden (wenn auch erst etwa zwanzig Jahre nach Hatschepsuts Tod, so dass dabei wohl eher politische Überlegungen als persönliche Animositäten eine Rolle spielten), sind genug Quellen, beispielsweise in Hatschepsuts Totentempel in Deir el-Bahari, erhalten, um ihre Biographie für altägyptische Verhältnisse recht genau nachzeichnen zu können.
Aus dieser natürlich von Repräsentationserwägungen gefärbten und bruchstückhaften Überlieferung entwickelt Peter Nadig meisterhaft ein Panorama einer spannenden Zeit, die nicht nur durch Feldzüge und eindrucksvolle Bauprojekte, sondern auch durch eine aufsehenerregende Expedition ins wohl irgendwo im Umkreis des Horns von Afrika zu lokalisierende Punt geprägt war. Doch auch abseits des rein Ereignishistorischen erfährt man hier Aufschlussreiches, so zum Beispiel, warum das Aufkommen der Bezeichnung Pharao (in etwa „großes Haus, Palast“) für den ägyptischen König ausgerechnet in die Zeit Hatschepsuts und Thutmosis‘ III. fällt. Lesenswert sind auch die forschungsgeschichtlichen Überlegungen dazu, inwieweit Hatschepsuts Weiblichkeit immer auch das Bild der Nachwelt von ihr geprägt, wenn nicht gar verzerrt hat, da selbst Wissenschaftler schnell damit bei der Hand waren, in ihr die klischeehafte böse Stiefmutter zu sehen oder ihr ein Liebesverhältnis mit ihrem einflussreichen Berater Senenmut anzudichten, das zwar theoretisch möglich, historisch aber nicht belegt ist. Die differenzierte Deutung, die Nadig gegen solche Zuschreibungen stellt, ist weitaus interessanter und realistischer und eröffnet auch über die Person Hatschepsuts hinaus tiefe Einblicke in Mentalität und Kultur des Alten Ägypten. Insbesondere in dieser Hinsicht lohnt es sich übrigens auch, die Endnoten des Buchs gründlich zu lesen, denn hier verbirgt sich weit über Quellen- und Literaturangaben hinaus viel Erhellendes, das über die engen Grenzen einer Biographie hinausverweist (und manchmal auch zum Schmunzeln anregt, wie etwa, wenn die potentielle Herrscherkritik einer derben altägyptischen Karikatur in genauso deftige moderne Sprache übertragen wird).
Insgesamt ist Peter Nadig ein fundiertes, anregend geschriebenes Buch gelungen, das für Laien nicht nur einen guten Einstieg in die Welt Hatschepsuts, sondern auch einen Zugang zur Ägyptologie allgemein eröffnet.

Peter Nadig: Hatschepsut. Darmstadt, Philipp von Zabern (WBG), 2014, 208 Seiten.
ISBN: 9783805347631


Genre: Biographie