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Barbarenmacht

Ob nun Schmuck, Votivgaben, Trinkgefäße oder Spielsteine – das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle hat viele eindrucksvolle Fundstücke aus Spätantike und Völkerwanderungszeit zu bieten. Ein ansprechender Führer durch den Teil der Dauerausstellung, der sich mit diesen Epochen befasst, liegt mit Barbarenmacht vor.

Die Autoren Arnold Muhl und Ralf Schwarz beschränken sich nicht darauf, die Schätze des Museums vorzustellen, sondern skizzieren auch die kulturhistorische Entwicklung vom 3. Jahrhundert an bis etwa zum Tod Attilas 453. Das heutige Sachsen-Anhalt war zwar kein Teil des römischen Reichs, aber es wird deutlich, dass die Geschichte der dort siedelnden germanischen Gruppen stark von ihren Beziehungen zu Rom geprägt war, ganz gleich, ob sie den Römern nun feindlich gegenüberstanden, als Soldaten in ihre Dienste traten oder im Laufe eines Lebens je nach Situation beide Rollen übernahmen.

Einen einfachen Kontrast zwischen beiden Welten zu konstruieren, wie es in populären Darstellungen manchmal immer noch gern geschieht, greift jedenfalls zu kurz, und das nicht nur, weil als Geschenke, Beutestücke oder Habseligkeiten von Einzelpersonen allerlei römische Gegenstände in die Germania magna gelangten und dort teilweise zweckentfremdet wurden (wie etwa ein Silbergefäß, das eine neue Verwendung als Schildbuckel fand). Vielmehr sind auch geistige Einflüsse feststellbar, ob nun auf direktem Wege wie bei der Übernahme römischer Trinksitten (und des entsprechenden Geschirrs) und Repräsentationsformen oder in eher indirekter Weise, vor allem in der Hinsicht, dass die Tatsache, dass das römische Reich über Jahrhunderte hinweg so oder so ein Betätigungsfeld für germanische Kämpfer bot, eine ursprünglich wohl primär bäuerlich geprägte Kultur immer stärker in die Betonung eines kriegerischen Ethos trieb, was auch Auswirkungen auf Gesellschaftsstruktur, Herrschaftsausübung und Religion hatte. In späterer Zeit dagegen wuchs der kulturelle Einfluss von Steppennomadenkulturen wie den Hunnen, von denen neben speziellen Schmucktypen auch eine aus heutiger Sicht eher bizarr anmutende Sitte wie die künstliche Schädelverformung entlehnt wurde.

Einem Ausstellungsführer angemessen, sind die Texte knapp und zweckmäßig gehalten, bieten aber gute Einstiegsinformationen für ein allgemeines Publikum. Nur in ganz wenigen Passagen hat man den Eindruck, dass Vermutungen etwas zu selbstbewusst als Tatsachen hingestellt werden (etwa wenn eine mögliche Biographie des im sogenannten Fürstengrab von Gommern bestatteten Mannes rekonstruiert wird).

Doch den größten Reiz des schmalen Bändchens macht die Bebilderung aus, die sich nicht auf die ansprechend auf dunklem Grund inszenierten Fundfotos beschränkt, sondern auch – teilweise zum Ausklappen – Kartenmaterial und lebendige Rekonstruktionsgemälde des Künstlers Karol Schauer bietet. Der Charme liegt dabei im Detail (z. B. in den hübschen Tierstilverzierungen, mit denen die Landkarten liebevoll gerahmt sind). So ist Barbarenmacht ein Büchlein, das nicht nur beim Lesen, sondern auch beim Anschauen großen Spaß macht und auch unabhängig von der gleichwohl sehr empfehlenswerten Dauerausstellung des Museums in Halle mehr als nur einen Blick wert ist.

Arnold Muhl, Ralf Schwarz: Barbarenmacht. Spätantike und Völkerwanderungszeit. Hrsg. von Harald Meller. Begleithefte zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle Bd. 7. Halle, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, 2019, 130 Seiten.
ISBN: 978-3-944507-91-0


Genre: Geschichte