Vielleicht ist es der traditionsreichen französischen Comickultur zu verdanken, dass gerade unser Nachbarland immer wieder brillante Zeichner hervorbringt, die sich darauf verstehen, eine Geschichte auch ohne Worte spannend und anrührend zu erzählen. Ein reines Bilderbuch ohne Text bietet sich für sie als Medium natürlich geradezu an. Im Peter Hammer Verlag sind bereits einige schöne Beispiele dafür erschienen (darunter Béatrice Rodriguez‘ konkurrenzlos guter Hühnerdieb). Nun gesellt sich mit Ronan Badels Faulem Freund ein weiteres, liebevoll gestaltetes Kleinod hinzu.
Schlange, Tukan, Frosch und Faultier leben vergnügt (und sogar kartenspielend) in den Wipfeln einiger Urwaldriesen. Ein Holzfäller setzt diesem Idyll ein abruptes Ende, doch vollends zum Drama wird das unschöne Ereignis erst dadurch, dass das Faultier beim Abtransport der Stämme noch immer an seinem Aststumpf hängt und seine Entführung glatt verschläft. Dass ihr Freund so einfach verschleppt wird, will die Schlange nicht zulassen, und so stürzt sie sich heldenhaft ins Abenteuer, das über holprige Dschungelpisten, eine wackelige Hängebrücke und durch einen Fluss voller Krokodile führt …
Ihren Unterhaltungswert gewinnt die Geschichte dabei nicht nur aus der Wahl der ungewöhnlichen und sehr beweglichen Heldin, sondern auch aus der Tatsache, dass das Faultier ungerührt über (fast) alles hinwegschläft, was die klassische Dynamik eines Rettungsplots natürlich bis ins Absurde gesteigert auf die Spitze treibt. Diesem inhaltlichen Humor steht aber ein feinsinniger visueller zur Seite, der sich vor allem in der herrlichen Mimik der kleinen und großen Urwaldbewohner niederschlägt.
Trotz des skizzenhaft und locker wirkenden Stils sind die Zeichnungen erstaunlich detailfreudig, so dass man manche handlungsrelevante Einzelheit erst auf den zweiten Blick erspäht (z.B. den Laster des Holzfällers, der ganz am Rande des scheinbar friedlichen ersten Bilds schon unheilverkündend naht). Die zarte, recht gedämpfte Farbpalette, die kein Element allein durch schrille Buntheit hervorhebt, lädt aber auch zu genauem Hinsehen und Mitdenken ein. Jedes einzelne der ganzseitigen Kunstwerke hat seinen eigenen Charme, und ein einmaliges Durchblättern reicht garantiert nicht, um alle angemessen zu würdigen.
Das ist aber kein Nachteil, denn obwohl man in der Tat die im Klappentext versprochene „verrückte Geschichte ohne Worte“ geboten bekommt, geht sie zugleich zu Herzen und ist dramaturgisch so geschickt konzipiert, dass Betrachter jeden Alters sicher gern mehr als einmal darin versinken. Bei mehrfacher Beschäftigung damit eröffnen sich nicht nur für die Augen, sondern auch für die Gedanken immer neue Blickwinkel.
Steht bei der Erst“lektüre“ noch die Neugier auf Verlauf und Ausgang der wilden Rettungsaktion im Vordergrund, überlegt man später, was hier eigentlich still und philosophisch über das Wesen der Freundschaft ausgesagt wird. „Freund Faultier“ – denn auch so, und nicht nur durch die vom Verlag gewählte Formulierung, ließe sich der doppelsinnige französische Originaltitel L’ami paresseux übersetzen – ist beileibe nicht der Aktivste, aber dennoch (wortwörtlich) anhänglich und ausgesprochen rettenswert. So nimmt man am Ende die unaufdringliche Botschaft mit, dass eine Freundschaft sich gar nicht unbedingt durch perfekte Symmetrie auszeichnen muss, um zu funktionieren; viel wichtiger sind Zuneigung und die Entschlossenheit, im Rahmen der jeweils eigenen Möglichkeiten aneinander festzuhalten.
Wem das kein glückliches Schmunzeln abringt, das mit dem entspannten Faultierlächeln des Schlussbilds mithalten kann, der hat vielleicht die schönste Ebene der Beschäftigung mit dem Faulen Freund versäumt.
Ronan Badel: Der Faule Freund. Wuppertal, Peter Hammer Verlag, 2015, 25 Seiten.
ISBN: 978-3779505150