Die Wurzeln des europäischen Dramas liegen in der Antike, und auch die Aufteilung in Tragödie, Komödie und die Tragikomödie als Mischgenre ist sehr alt. Die überlieferten Stücke sind trotz aller Textverluste und zu vermutenden Änderungen faszinierende und bewegende Literatur und für bestimmte Konventionen der Charakterisierung und szenischen Darstellung im Grunde bis heute prägend.
Die Latinistin Therese Fuhrer und der Gräzist Martin Hose stellen in ihrer handlichen Einführung Das antike Drama diese Anfänge der Theatertradition, die wichtigsten heute noch bekannten Dramenautoren der griechischen und römischen Antike und einzelne besonders bemerkenswerte Stücke vor. Der zeitliche Bogen spannt sich von der Entstehung der Tragödie in Athen unter der Tyrannis der Peisistratiden im 6. Jh. v. Chr. bis zur Christianisierung und Theaterkritik der Spätantike.
Nach einem kurzen Überblick über die jeweiligen kultischen Ursprünge von Tragödie und Komödie folgt die Vorstellung derjenigen Dramenverfasser, die die Erhaltung ihrer Stücke der Tatsache zu verdanken haben, dass sie von alexandrinischen und später von byzantinischen Gelehrten als wichtiger Teil des Literaturkanons begriffen wurden: Zu den Tragödiendichtern Aischylos, Sophokles und Euripides liefern Fuhrer und Hose ebenso biographische Skizzen und Werkanalysen wie zu den Komödienautoren Aristophanes und Menander.
Die Kenntnis der griechischen Dramentradition ist unabdingbar notwendig, um zu verstehen, in welcher Form die Theaterkultur ab den 3. Jh. v. Chr. von den Römern übernommen wurde, die bis dahin aus ihrem italischen Umfeld vor allem den Typus des handfesten Possenspiels mit festgelegtem Typeninventar kannten (fabula Atellana). Fast noch stärker als im Falle der griechischen Antike wird bei den frühen römischen Dramen deutlich, wie sehr der Zufall der Überlieferung unsere Wahrnehmung bestimmt. Während die oft eng am griechischen Vorbild orientierten Komödien von Plautus und Terenz als Schullektüre die Jahrtausende überdauerten, sind uns die frühen römischen Tragödien bis auf einzelne aus dem Kontext gerissene Zeilen nicht mehr zugänglich. Was bleibt, kann aber ironischerweise durchaus sehr bekannt sein: So ist das Zitat oderint, dum metuant (in etwa: „Sollen sie mich ruhig hassen, solange sie mich fürchten“) sicher schon vielen Lateinkundigen begegnet, während nur wenige sofort parat haben dürften, dass es aus dem bis auf wenige Fragmente verlorenen Atreus des Accius aus dem 2. Jh. v. Chr. stammt.
Mit Seneca erfährt schließlich auch noch ein Tragödiendichter der römischen Kaiserzeit eine ausführliche Würdigung, bevor das Buch mit einem kurzen Ausblick auf die Spätantike schließt.
Fuhrer und Hose schreiben anschaulich und allgemeinverständlich und nehmen zur Erläuterung der teils komplizierten Familienkonstellationen in den römischen Komödien auch Schaubilder zu Hilfe. Trotz der Kürze des Bands fehlen bei den Dramenanalysen auch Hinweise auf unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten nicht. Knapper abgehandelt, aber durchaus erwähnt wird die praktische Seite der antiken Theateraufführung (von der Bühnengestaltung über die Masken bis hin zu den Schauspielern). Die literarischen Texte selbst und ihre Verfasser stehen im Vordergrund und werden so gut präsentiert, dass der erste Einstieg in die Welt des antiken Dramas hier eigentlich nicht misslingen kann. Wer nähere Informationen zu Theaterbauten oder eine üppigere Bebilderung sucht, ist mit Bernd Seidenstickers Band Das antike Theater aus derselben Reihe gut beraten.
Therese Fuhrer, Martin Hose: Das antike Drama. München, C. H. Beck, 2017, 128 Seiten.
ISBN: 9783406707926