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Villa rustica. Leben und Arbeiten auf römischen Landgütern

Die römische Zivilisation wird oft primär als städtisch wahrgenommen. Der Stadtstaat als zentrale politische Organisationsform trägt dazu sicher ebenso bei wie die Tatsache, dass in kontinuierlich seit der Antike besiedelten Städten Straßenverlauf und partiell oder vollständig erhaltene Bauwerke zur Bewahrung der Erinnerung über die Jahrhunderte hinweg beitragen konnten. Doch ein Großteil der Bevölkerung des römischen Reichs lebte auf dem Land. Eine prächtig bebilderte, insbesondere an der landwirtschaftlichen Technik interessierte Einführung in diesen Aspekt der Römerzeit bietet Ursula Heimbergs Villa rustica. Leben und Arbeiten auf römischen Landgütern.
Der Untertitel weckt dabei in zweierlei Hinsicht etwas zu weitgespannte Erwartungen, denn zum einen geht es nicht um die gesamte römische Welt, sondern schwerpunktmäßig um die germanischen und gallischen Provinzen; zum anderen steht von den angesprochenen Bereichen „Leben“ und „Arbeiten“ eindeutig letzterer im Vordergrund. Über die Wohnverhältnisse im ländlichen Raum wird nur relativ knapp informiert, und über die Sozialstruktur erfährt man neben einigen Hinweisen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung eigentlich nur, dass in den nördlichen Gebieten des römischen Reichs anders als im Mittelmeerraum keine großen, von zahlreichen Sklaven bewirtschafteten Latifundien, sondern kleine bis mittlere Familienbetriebe vorherrschten, die von Angestellten, Pächtern und Tagelöhnern unterstützt wurden. Wie familiäre Beziehungen, individuelle Lebensläufe oder auch nur typische Tage auf einem römischen Landgut sich gestaltet haben mögen, bleibt dagegen größtenteils der Phantasie des Lesers überlassen. Selbst den Nutztieren ist nur ein recht kurzer Abschnitt gewidmet.
Eine wahre Schatztruhe dagegen ist das Buch im Hinblick auf alles, was sich mithilfe von archäologischen Funden, Bildquellen und Texten römischer Schriftsteller (wie Cato, Varro oder Columella) über Gerätschaften und Vorgehensweisen bei Acker-, Wein- und Gartenbau rekonstruieren lässt. Ob Brunnen oder Kornspeicher, Weinpresse oder Sichel, Wassermühle oder gallische Erntemaschine, die materielle Kultur römischer Landwirtschaft wird äußerst detailfreudig und liebevoll beschrieben und dank der glänzenden Illustrationen auch wirklich sichtbar gemacht. Antike Darstellungen (so etwa die auf dem Titelbild gezeigten Mosaiken mit landwirtschaftlichen Tätigkeiten) wechseln mit Fotos archäologischer Funde und schematischen Zeichnungen ab, wobei die einzelnen Bildkategorien sich oft gegenseitig ergänzen und gerade in der Zusammenschau aufschlussreich sind.
Im Zuge ihrer gründlichen Untersuchung römischer Geräte und Techniken räumt Heimberg auch mit zahlreichen Vorurteilen auf, so etwa mit dem, die antike Landwirtschaft sei rein auf Sklavenarbeit gegründet und deshalb innovationsresistent gewesen, oder mit der immer wieder zu lesenden Forschungsmeinung, Pferde wären aufgrund einer ungünstigen Schirrung nur eingeschränkt als Zugtiere einzusetzen gewesen (ein Fehlurteil, das mittlerweile experimentell widerlegt wurde). Besonders zentral ist in diesem Kontext auch Heimbergs Feststellung, dass der oft postulierte Bruch zwischen antiker und mittelalterlicher Landwirtschaft so nicht gegeben war, sondern durchaus Kontinuitäten von der römischen Zeit bis ins 19. Jahrhundert aufzuzeigen sind, in dem mit der Industrialisierung neue technische Möglichkeiten erschlossen wurden. Unter dieser Perspektive verweist Villa rustica über die römische Epoche hinaus auf das vormoderne Landleben allgemein.

Ursula Heimberg: Villa rustica. Leben und Arbeiten auf römischen Landgütern. Darmstadt/Mainz, Philipp von Zabern (WBG), 2011, 176 Seiten.
ISBN: 978-3805343183


Genre: Geschichte