Über das republikanische Rom ist so viel geschrieben worden, dass die Frage berechtigt erscheint, ob eine Überblicksdarstellung dem Thema überhaupt noch neue Aspekte abgewinnen kann. Wolfgang Blösel gelingt dieses Kunststück in Die römische Republik. Forum und Expansion. In dem kompakten Werk bringt er den Spagat fertig, einerseits eine sehr solide und allgemeinverständliche Einführung in die Epoche zu liefern, andererseits aber durchaus originelle Interpretationen vorzuschlagen.
Anders als der dem Archaischen Griechenland gewidmete Beitrag der Reihe C.H. Beck Geschichte der Antike mit seinem sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Schwerpunkt bietet der Band zur römischen Republik eine streng chronologisch geordnete Ereignis- und Verfassungsgeschichte, die sich von der Königszeit bis zum Beginn der Kaiserzeit spannt und vor allem auf die Gesellschaftsschicht der Nobilität fokussiert ist.
Diese, so Blösels zentrale These, hätte durch ihr Ethos, das von frühesten Zeiten an Kriegsruhm als zentralen Gradmesser des Ansehens festsetzte, einerseits die Entstehung des römischen Weltreichs und die im Titel beschworene fortwährende Expansion gefördert, da sich der einzelne Politiker nur durch Eroberungen profilieren und damit dauerhaften Einfluss auf dem heimatlichen Forum sichern konnte. Das Festhalten an der Überhöhung des Militärischen sei aber in dem Moment fatal geworden, als große Teile der Führungsschicht die Lust daran verloren, sich persönlich kriegerisch zu betätigen, da sich so eine kleine Zahl talentierter Feldherren eine Machtbasis schaffen konnte, die das der Republik zugrundeliegende System einer meritokratischen Oligarchie sprengte und in die Monarchie einmünden musste.
Beim Nachzeichnen dieser jahrhundertelangen Entwicklungslinien spart Blösel nicht mit Kritik an der Tendenz vieler moderner Historiker, seit langem etablierte Forschungsmeinungen insbesondere dann unkritisch zu übernehmen, wenn sie von Größen des Fachs wie z.B. Theodor Mommsen stammen. Seiner Ansicht nach stützen die Quellen bei unvoreingenommener Betrachtung einige vermeintliche Tatsachen gar nicht, so etwa die regelhafte Übernahme einer Provinzstatthalterschaft durch ehemalige Prätoren und Konsuln – in Wirklichkeit entzog sich wohl manch einer der lästigen Pflicht, vor allem, wenn kein finanzieller Gewinn zu erwarten war. Blösel lehnt auch die weitverbreitete Deutung ab, im Bundesgenossenkrieg (91-89 v. Chr.) sei es den socii der Römer um die Erstreitung des römischen Bürgerrechts gegangen. In dessen Verleihung an die unterlegenen Bundesgenossen sieht er vielmehr einen geschickten Schachzug, um die Eigenidentität der italischen Bevölkerungsgruppen auszuhöhlen, denen es im Krieg um ihre Unabhängigkeit von der Hegemonialmacht Rom gegangen sei.
Neben einem frischen Blick auf die antiken Geschichtsschreiber zieht Blösel zur Untermauerung seiner Argumentation immer wieder auch in Fotos oder Umzeichnungen wiedergegebene Bildquellen heran. Zumeist handelt es sich um Münzen, eines der Propagandamittel der Antike schlechthin, doch bisweilen sind auch Grabmalereien ungeahnt aufschlussreich, so etwa die aus der etruskischen Tomba François (4. Jh. v. Chr.) aus Vulci, auf denen unter anderem ein Konflikt zwischen Etruskern und Römern dargestellt ist, der sich mit Informationen aus viel späteren Schriftquellen in Verbindung bringen lässt.
Vieles davon überrascht – und überzeugt dennoch. Doch so klar und bestechend einfach, wie alles zunächst einmal wirken mag, ist es letzten Endes nicht, denn leider haben sich auch einige missverständliche Aussagen eingeschlichen. Wenn etwa von „M. Antonius‘ Bruder Lucius (…) und dessen Frau Fulvia“ die Rede ist, könnte das zu dem Fehlschluss führen, Fulvia sei mit Lucius und nicht – wie es historisch tatsächlich der Fall war – mit Marcus Antonius verheiratet gewesen. Auch die Feststellung, der junge Caesar sei, obwohl er Anhänger des Marius war, „von Sulla verschont worden“, ist zwar formal richtig, verleitet aber in ihrer extremen Verkürzung zu der trügerischen Annahme, es habe keinerlei Konflikt zwischen Sulla und Caesar gegeben. Dass Letzterer unter Sulla zunächst durch seine Weigerung, sich von seiner damaligen Frau Cornelia, der Tochter Cinnas, scheiden zu lassen, in eine überaus heikle Lage geriet, lässt sich aus Blösels Darstellung jedenfalls nicht erschließen.
Am Ende überwiegt dennoch der positive Eindruck, wenn auch mit kleinen Einschränkungen. Wolfgang Blösel ist ein Buch gelungen, das informativ ist und mahnt, sicher geglaubte Fakten mit offenen Augen zu hinterfragen, einen aber zugleich zwingt, solch eine aufmerksame Haltung auch dieser Lektüre selbst gegenüber nicht zu vergessen.
Wolfgang Blösel: Die römische Republik. Forum und Expansion. München, C.H. Beck, 2015, 304 Seiten.
ISBN: 978-3406674136