Im Heidelberger Schloss wohnt das kleine Gespenst Tusnelda. Nachts durchstreift es mit seinem Freund, dem Fledermausgeist Kuno, das alte Gemäuer und findet dabei vor allem Vergnügen daran, neue Wörter zu lernen. Eine Begegnung mit der kleinen Liselotte von der Pfalz ist da sehr hilfreich, hat doch auch sie Freude an Sprache und ungewöhnlichen Begriffen. Doch nach dem Wegzug der Prinzessin nach Frankreich und der Zerstörung des Schlosses im Pfälzischen Erbfolgekrieg wird es einsam um Tusnelda und Kuno. Dass mit der Romantik die Ruine zum Besuchermagneten wird, hilft zunächst nicht viel weiter, vor allem, da man als Gespenst sehr vorsichtig sein muss, zerfällt man doch zu Staub, wenn einen Erwachsene erblicken. Aber können vielleicht heutige Kinder auf Schlossbesichtigung die arme Tusnelda aufmuntern?
Das von Anette Huesmann verfasste und von Tatiana Hornickel illustrierte Bilderbuch Das Heidelberger Schlossgespenst will, wie schon der Untertitel verrät, Kindern Die Geschichte des Heidelberger Schlosses in Bildern erzählen. Mit Liselotte von der Pfalz ist die wahrscheinlich prominenteste einstige Bewohnerin des Schlosses beispielhaft als historische Gestalt herausgegriffen, und als Garten, in den sich die Prinzessin zum Kirschennaschen stiehlt, findet neben dem Schloss selbst auch der berühmte Hortus Palatinus Erwähnung. Der Weg des Gebäudes von der Kurfürstenresidenz zur Touristenattraktion wird nachgezeichnet und auch die Verwüstung durch Kriegseinwirkung und Blitzschlag kindgerecht verpackt. Mit Tusneldas Lieblingswort „Rompompel“ wird auch der Konflikt zwischen Liselotte und Madame de Maintenon, die allerdings namentlich nicht genannt wird, aufgegriffen.
Erwachsenen werden bei der Schilderung der geschichtlichen Zusammenhänge hier und da Vereinfachungen auffallen (z.B. ist die Angabe, dass Tusnelda und die noch kindliche Liselotte sich vor „300 Jahren“ zum ersten Mal begegnen, großzügig gerundet, stand Liselotte von der Pfalz 1721 doch schon am Ende ihres relativ langen Lebens, während sie hier in ihrer Jugend erscheint). Der Zielgruppe wird das aber sicher nichts ausmachen, und für alle, die es genau wissen wollen, skizziert unter der Überschrift Dichtung und Wahrheit ein kurzes Nachwort noch einmal sachlich die historischen Hintergründe.
Aber letzten Endes steht ohnehin etwas ganz anderes im Mittelpunkt der charmanten und anrührenden Geschichte. Denn es ist Tusneldas Suche nach immer neuen unbekannten Wörtern, die am Ende hilft, den Bogen in die Gegenwart zu schlagen und am Beispiel von Kindern unterschiedlichster Herkunft zu zeigen, dass ein historisches Gebäude wie das Heidelberger Schloss eben nicht allein ein Zeugnis der Vergangenheit ist, sondern zum Ort eines lebendigen kulturellen Austausches werden kann und noch dazu der Natur nützt, finden hier doch Tiere wie Fledermäuse einen Unterschlupf.
Tatiana Hornickels ebenso schwungvolle wie sanfte, durchgängig farbige Illustrationen tragen die Geschichte mit und ergänzen sie hier und da augenzwinkernd (z.B. taucht die Fleur de Lys, die französische Lilie, schon als Vorausverweis auf die spätere Heirat mit dem Herzog von Orléans auf dem Kleid der kleinen Liselotte auf, und auf der Kleidung der modernen Kinder, die das Schloss besichtigen, sind mit Prinzessin, Kirschen und Fledermaus wichtige Elemente der Geschichte als Dekoration untergebracht). Obwohl man das Heidelberger Schloss in den Bildern durchaus wiedererkennt, ist die Atmosphäre märchenhaft und, dem Gespensterthema angemessen, zwischen Realität und Traum angesiedelt.
Alles in allem ist so ein liebenswertes Bilderbuch entstanden, das nicht nur dazu dienen kann, schon Kindern im Vorschulalter das Heidelberger Schloss näherzubringen und allgemein ihr historisches Interesse zu wecken, sondern auch kleinen Gespensterfans ganz einfach als nette Geschichte Spaß machen wird.
Anette Huesmann: Das Heidelberger Schlossgespenst. Die Geschichte des Heidelberger Schlosses in Bildern. Illustrationen: Tatiana Hornickel. Norderstedt, Books on Demand, 2021, 36 Seiten.
ISBN: 978-3753463384 (Hardcover; auch als Taschenbuch und E-Book erhältlich)