Das Mädchen, das einen Löwen heiratete. Eine Liebeserklärung an den afrikanischen Kontinent

Alexander McCall Smith ist als äußerst schreibfreudiger Autor aller möglichen Romanserien bekannt, von denen die Krimireihe um die in Botswana ermittelnde Precious Ramotswe und ihre No. 1 Ladies‘ Detective Agency wahrscheinlich die populärste ist. Mit Das Mädchen, das einen Löwen heiratete legt er jedoch eine ganz andere Art von Buch vor.
Der Untertitel, der an einen Reisebericht denken lässt, führt in die Irre: Es handelt sich nicht um einen Sachtext, sondern um eine Sammlung von Nacherzählungen mündlich tradierter Märchen aus Simbabwe und Botswana. Eine literaturwissenschaftliche oder ethnologische Einordnung und Analyse strebt McCall Smith dabei nicht an. Wie er selbst in seinem Vorwort erläutert, geht es ihm nur um eine schriftstellerische Aufbereitung der Märchen, die er teils selbst sammelte, teils aus einer von Elinah Grant zusammengetragenen Anthologie volkstümlicher Überlieferung aus Botswana übernahm. Auch die zweite Vorbemerkung, die er seiner Romanheldin Precious Ramotswe in den Mund bzw. in die Feder legt, betont vor allem die emotionale und soziale Funktion altvertrauter Geschichten.
Entsprechend lässt sich die eigentliche Sammlung versöhnlicher bis grausamer Märchen auch primär zur Unterhaltung lesen, ist doch die Fabulierfreude, die sie bietet, ein wahrer Genuss: Gestaltwandelnde Leoparden und Löwen (wie der aus der titelgebenden Geschichte) sind hier ebenso unterwegs wie sangesfreudige Menschenfresser, Paviane interessanter Abstammung, hilfreiche Untote oder schlaue Perlhühner, die zu verzehren sich als fatal erweisen kann. Die geschilderte Welt ist nicht nur in Flora und Fauna, sondern auch in ihren Familien- und Gesellschaftsstrukturen und in ihrer Lebens- und Wirtschaftsweise aus europäischer Sicht oft fremd und ungewohnt. Umso stärker berührt es, dass bestimmte Motive und moralische Lehren trotz aller kulturellen Unterschiede in afrikanischen wie in europäischen Märchen die gleichen zu sein scheinen: Unerwartetes Heldentum warnt vor der Unterschätzung scheinbar Schwächerer und Makelbehafteter, und Ungerechtigkeit, Wortbrüchigkeit, Faulheit und Bosheit werden bestraft.
Angesichts der Kürze des Bändchens ist es erstaunlich, welch eine breite Auswahl von Geschichtentypen dabei vertreten ist: Neben klassischen Märchen stehen Tierfabeln, ätiologische Erzählungen und philosophisch anmutende Texte, in denen die übernatürlichen Elemente eher in den Hintergrund rücken. McCall Smiths Erzählstil ist dabei zwar dem Genre angepasst, aber oft so augenzwinkernd und charmant gehalten wie in seinen Romanen. So denkt etwa eine Hyäne „an Dinge, an die Hyänen gern denken und die nicht zu den Dingen gehören, die du und ich jemals verstehen würden“, was natürlich ebenso zum Schmunzeln reizt wie die Tatsache, dass die Leoparden „im dunklen Wald ihre fröhlichen Leopardenlieder“ singen.
Insgesamt ist Das Mädchen, das einen Löwen heiratete also eine Geschichtensammlung, die Lust auf mehr macht und einen dazu animieren kann, auch einmal Märchen und Mythen abseits vertrauter Herkunftsgebiete zu erkunden.

Alexander McCall Smith: Das Mädchen, das einen Löwen heiratete. Eine Liebeserklärung an den afrikanischen Kontinent. Bergisch Gladbach, Bastei Lübbe, 2006, 190 Seiten.
ISBN: 3404154304


Genre: Märchen und Mythen