Tanz mit dem Wind

Dezimiert von der Pest, zieht eine Gauklertruppe durch die Lande. Höhepunkt jeder Vorstellung ist der Auftritt von Tänzerin Tessa und Fiedler Jo, deren ungewöhnlich intensives Zusammenspiel das Publikum jedes Mal zuverlässig bannt. Privat könnten die beiden allerdings kaum unterschiedlicher sein: Der als Findelkind zu den Gauklern gekommene Jo genießt hemmungslos sein Leben und die Wirkung seines Charmes in vollen Zügen, während die ernstere Tessa den Verlust eines Großteils ihrer Familie immer noch nicht verwunden hat und sich der Gefahren und Beschränkungen ihres Daseins als Frau unter Fahrenden nur zu gut bewusst ist. Ginge es nach ihrer Großmutter, sollte sie Jo dennoch als den Mann an ihrer Seite in Erwägung ziehen, aber Tessa hat ihren eigenen Kopf …

Anna K. Thomas siedelt ihre kleine Erzählung Tanz mit dem Wind ohne genauere zeitliche oder geographische Verortung irgendwann und irgendwo nach einer Pestwelle im deutschen Mittelalter an. Der Text ist dabei weniger dem Historiengenre (im Sinne einer Bezugnahme auf spezifische Ereignisse und Umstände) als einer letztlich zeitlosen, einfühlsamen Figurenerkundung verpflichtet. Abschnitte aus der Perspektive der Ich-Erzählerin Tessa wechseln sich mit in der dritten Person verfassten Passagen aus Jos Sicht ab und lassen nach und nach ein genaues Bild der nicht unkomplizierten Beziehung zwischen den beiden entstehen.

Die Liebesgeschichte, die sich dabei entwickelt, ist unsentimental erzählt, wie Thomas auch sonst keine Romantisierung der Vergangenheit vornimmt: Die immense Kindersterblichkeit, die allgegenwärtige Gefahr, Krankheiten zum Opfer zu fallen, und nicht zuletzt auch die Tatsache, dass Personen welches Standes auch immer bei großen Entscheidungen wenig Wahlfreiheit haben, so sehr sie sich auch danach sehnen mögen, schwingen im Hintergrund ständig mit, wobei dennoch mehr als eine Figur versucht, im Rahmen des Erlaubten (oder auch nur stillschweigend Tolerierten) eigene Wege zu gehen.

Umso intensiver wird vor diesem bisweilen eher tristen Hintergrund die Faszination besonders von Musik und Tanzkunst, aber auch Unterhaltung allgemein heraufbeschworen, bietet all das doch nicht nur der sesshaften Bevölkerung eine kurzfristige Abwechslung in ihrem Dasein, sondern auch den Fahrenden selbst eine Möglichkeit, sich selbst mit allen Gedanken und Gefühlen, die schwer in Worte zu fassen sind, auszudrücken. Zwei Momente, in denen Tessa und Jo diesbezüglich so weit gehen, dass sie aus der Rolle fallen, markieren zentrale Wendepunkte der Geschichte.

Wie von Anna K. Thomas gewohnt liest sich der Stil angenehm und gefällig, und nett gemacht ist auch die äußere Gestaltung der Erzählung mit kleinen Tänzerinnengestalten als Abschnittstrennern. Als unterhaltsame Lektüre mit Zwischentönen für einen Nachmittag eignet sich Tanz mit dem Wind daher gut, und sicher auch als Einstieg, um Lust auf die längeren Werke der Autorin zu bekommen.

Anna K. Thomas: Tanz mit dem Wind: eine Kurzgeschichte. 2. Aufl. Berlin, Anderland Books, 2020 (E-Book).
ISBN: 978-3-96977-024-5


Genre: Erzählung