Schweden gehört zu den moorreichsten Ländern der Welt, und so ist es kein Wunder, dass im Rahmen der Reihe European Essays on Nature and Landscape ein Schwede den dem Moor gewidmeten Beitrag übernehmen darf. Mattias Eliasson schildert in seinem schlicht Moor betitelten, von Gabriele Haefs wunderbar ins Deutsche übersetzten Buch nicht nur seine eigenen Naturerfahrungen in verschiedenen Moorgebieten Nord- und Mittelschwedens, sondern auch viel (Kultur-)Historisches, unter anderem auch immer wieder schlaglichtartig eine Reise, die Carl von Linné 1732 durch dieselben Gegenden unternahm. Dass dem Band Karten beigegeben sind, um die erwähnten Aufenthaltsorte beider Männer auffinden zu können, ist sehr nützlich, denn Eliasson erzählt nicht linear, sondern beschreibt fast impressionistisch eine Vielzahl kleiner und großer Eindrücke, so dass man sich von Kapitel zu Kapitel immer wieder auf geographische Sprünge, die keinem besonderen Muster folgen, einstellen muss.
Ausgangspunkt der Betrachtung ist im Sinne des essayistischen nature writing die persönliche Naturerfahrung. Das kann durchaus sehr sympathische Züge annehmen (etwa bei einer nächtlichen Wühlmausrettung aus dem Hundenapf in der eher rustikalen Ferienhütte), manchmal aber auch mehr Informationen beinhalten, als man sie unbedingt gebraucht hätte: Wenn der Autor auf die Schilderung verzichtet hätte, wie er an einen Baum uriniert, hätte ich sie nicht vermisst. Vom Beerensuchen oder von der Wirkung des Gehens über schwingenden Moorboden auf lädierte Gelenke zu lesen, ist da schon interessanter, und die feinen Beobachtungen zu Schwarzspechten (die laut schwedischer Sage übrigens von einer geizigen Bäuerin abstammen, die Gott und Petrus, die bei ihr einkehrten, Brot verweigerte), Elchen und Moosglöckchen, aber auch zu Begegnungen mit allen möglichen Menschen lassen die Welt der schwedischen Moore lebendig werden.
Viel erfährt man auch über das harte bäuerliche Leben in Zeiten, in denen jedes dritte Mädchen Anna hieß, junge Hirtinnen einsame Sommer verbrachten, im Moor Heu gemacht und Wollgras als Kissenfüllung geerntet wurde – eine Wirtschaftsweise, die heute Vergangenheit ist und von der nur noch allerlei verlassene Hütten im Moor zeugen. Daneben sind durchaus schaurige Geschichten vertreten, wie die von den Soldaten, die auf einem winterlichen Rückzug aus Norwegen nach Schweden in der letzten Phase des Großen Nordischen Krieges zu Tausenden erfroren. Aber auch die Bedeutung des Moores für den Klimaschutz und die sich daraus ergebenden Bemühungen um die Wiedervernässung trockengelegter Moore werden angerissen. Wirklich tiefgehende Analysen darf man angesichts der Kürze des Buchs und der Betonung des individuellen Naturerlebnisses natürlich zu keinem dieser Themen erwarten, aber die Neugier, sich noch einmal selbständig im Detail damit zu beschäftigen, wird auf alle Fälle geweckt.
Positiv fällt die wirklich wunderschöne Gestaltung des Buchs auf, das wie alle Bände der von Klaas Jarchow herausgegebenen Reihe nicht nur reich mit Fotos illustriert, sondern auch mit Federzeichnungen von Rüdiger Tillmann in Vor- und Nachsatz ausgestattet ist, während dieser Künstler und der Autor wiederum in weiteren Zeichnungen von Anika Takagi porträtiert sind – Kunstwerke über Kunstwerke im Kunstwerk. Ein ausführlicher Anhang bietet nicht nur ein Glossar, sondern auch Listen von relevanten Reisezielen, Museen und Websites mit Zusatzinformationen (per QR-Code aufzurufen). Durch diese gelungene Aufmachung bekommt man auch Lust darauf, über das vorliegende Buch hinaus zu weiteren Bänden der Reihe zu greifen, die einen hoffentlich ähnlich gut in Landschaft und Natur eintauchen lassen.
Mattias Eliasson: Moor. Hamburg, KJM Buchverlag, 2024 (European Essays on Nature and Landscape), 140 Seiten.
ISBN: 978-3-96194-234-3