Quellen sind für die Natur und nicht zuletzt auch für die Versorgung der Menschen mit Wasser entscheidend, bekommen aber oft weniger Aufmerksamkeit als die Bäche und Flüsse, die aus ihnen entstehen können. Das möchte Martin Rasper mit seinem Buch An der Quelle ändern. Im Rahmen der schön gestalteten Reihe European Essays on Nature and Landscape erschienen, befasst es sich nicht nur mit den unterschiedlichsten Formen von Quellen an sich, sondern auch mit dem, was sie für Lebewesen aller Art (von sehr kleinen bis hin zum Menschen) bedeuten. Geographisch liegt der Schwerpunkt dabei auf Westdeutschland und insbesondere dessen südlicher Hälfte.
Quellen – so erfährt man hier – nehmen nicht immer die sicher von den meisten mit ihnen assoziierte Form der Sturz- oder Fließquelle (also munter hervorsprudelnden Wassers) oder von Teichen (Quelltümpeln oder -töpfen) an, sondern sind in vielen Fällen deutlich unspektakulärere Sickerquellen, die einfach nur als feuchte Stellen in der Landschaft zutage treten. Alle Quelltypen sind jedoch wichtige Biotope, denen menschliche Aktivitäten oft zum Verhängnis werden, ob nun unmittelbar (wenn das Fassen einer Quelle in einer steinernen Ummauerung ihr die Natürlichkeit und ihre Rolle als Lebensraum raubt) oder indirekt (wenn durch den Klimawandel beförderte Dürrejahre eine Quelle austrocknen lassen).
Obwohl der Mensch also nicht immer pfleglich mit Quellen umgeht, braucht er sie, und das schlägt sich nicht nur im praktischen Umgang mit ihnen nieder, wenn sie etwa zur Trinkwasserbeschaffung oder für das Kur- und Badewesen genutzt werden. Vielmehr sind Quellen auch seit jeher von Geschichten umgeben und aus Kunst, Religion, Mythologie und Literatur nicht wegzudenken. So liest man hier auch einiges über Gottheiten, Nymphen, Nixen und Quellheiligtümer, immer wieder wunderhübsch mit historischen Darstellungen in Farbe illustriert (allerdings gibt es natürlich daneben auch Kartenmaterial und Fotos). Hinzu kommen kuriose Geschichten wie die um den Streit um die wahre Donauquelle, für deren Lokalisierung nicht nur streng erdkundliche Kriterien eine Rolle spielen, sondern vielmehr politische Erwägungen, Lokalpatriotismus und tief verwurzelte Vorstellungen vom angemessenen Aussehen des Ursprungs eines so wichtigen Flusses.
Allerdings wirken all diese kulturhistorischen Informationen vor allem dann verlässlich, wenn sie sich auf jüngere Zeiten beziehen. Bei Antike und Mittelalter ist hier und da vielleicht doch ein Fragezeichen angebracht. Was soll man etwa von der Aussage über „die keltischen Göttinnen Rosmerta, die dem Merkur entsprach, sowie Sirona, die als Heilgöttin dem Apollon gleichgesetzt war“ (S. 49), halten? Soweit ich weiß, wurden die jeweiligen Göttinnen zwar an der Seite der genannten männlichen Götter kultisch verehrt und als deren Gefährtinnen dargestellt, aber nicht eins zu eins mit ihnen identifiziert, wie man aus der Angabe hier schließen könnte. Ähnlich eigenartig ist die gewählte Übersetzung einer Passage aus Einhards Vita Caroli Magni (vgl. S. 70), da sie in den Formulierungen derart altertümlich ist, dass man gern wüsste, wo Rasper sie ausgegraben hat und weshalb sie ihm für einen modernen Text passend erschien (vielleicht, weil sie mit ziemlicher Sicherheit gemeinfrei sein dürfte?). Gerade in solchen Fällen bedauert man, dass Quellenangaben (!) jedweder Art dem Buch fehlen, man also an keiner Stelle nachvollziehen kann, nach welchen Editionen historische und literarische Texte zitiert werden (da ein anderer Band der Reihe durchaus über eine Literaturliste verfügt, wäre einer entsprechenden Auflistung wahrscheinlich von Verlagsseite aus keine Steine in den Weg gelegt worden).
Wie von den Bänden der Reihe gewohnt, kann man im Anhang per QR-Code weitere Informationen aufrufen, in diesem Fall zu verschiedenen empfehlenswerten Wanderungen zu Quellen und zu Forschungsprojekten, die sich mit dem Thema Quelle befassen. Denn so umfassend wissenschaftlich bearbeitet, wie man bei solch einem allgegenwärtigen Phänomen denken könnte, sind – so eine weitere Erkenntnis, die man aus dem Buch mitnimmt – Quellen auch heutzutage noch nicht, obwohl sich in ihnen und um sie herum von winzigen Schnecken bis hin zu Moos so manches entdecken lässt und auch ihre Verteilung in der Landschaft interessant (und oft nicht einmal ansatzweise kartiert) ist. Lust darauf, sich mit dem Thema noch ein wenig mehr zu befassen, macht An der Quelle aber auf jeden Fall.
Martin Rasper: An der Quelle. Hamburg, KJM Buchverlag, 2024 (European Essays on Nature and Landscape), 140 Seiten.
ISBN: 978-3-96194-237-4