Der Fuchs erscheint aus menschlicher Sicht von jeher ambivalent. Einerseits als Schädling verschrien und als Jagdbeute erbarmungslos verfolgt, weckt das Tier andererseits durch seine Intelligenz und seine Schönheit immer wieder auch Neugier und Bewunderung. Nicht zuletzt deshalb spielt es in Mythologie, Kunst und Literatur vieler Kulturen eine bedeutende Rolle. Neben den biologischen Aspekten des Fuchsdaseins steht auch das spannungsreiche Verhältnis zwischen Füchsen und Menschen im Zentrum des Buchs Füchse. Unsere heimlichen Nachbarn, in dem Adele Brand – Naturforscherin, Weltreisende, Bloggerin und offensichtlich großer Fuchsfan – leidenschaftlich für ein friedliches Miteinander wirbt.
Auch wenn punktuell Beobachtungen aus anderen Regionen der Welt (z.B. Indien, Polen, Australien oder Nordamerika) eingestreut sind, liegt der Schwerpunkt dabei auf in London und seinem Umland lebenden Füchsen, deren Umwelt besonders stark vom Menschen geprägt ist. Die Stadtfüchse, die anders als Wölfe keine Rudel, aber doch territoriale Gruppen bilden, erscheinen dabei als clevere Opportunisten, denen zur Not auch heruntergefallene Pommes frites recht sind, wenn sich nicht genügend Mäuse, Regenwürmer oder Beeren finden, um über die Runden zu kommen. Von Räude ebenso bedroht wie vom Straßenverkehr, ziehen sie zwischen Gärten, Wohnhäusern und Gewerbegebieten ihre Jungen groß, spielen miteinander, vertreiben Rivalen und sind auch für einige nette Anekdoten gut. So beschreibt die Autorin unter anderem die ungewöhnliche Freundschaft zwischen einem Hund und einem wilden Fuchs, aber auch, wie Füchse in ihrem Garten ihre leichtsinnigerweise außerhalb des Hauses abgestellten Schuhe ramponieren. Auch die Arbeit mit Wildkameras erweist sich als gar nicht so einfach, wenn Brand etwa eine zur Behandlung einer Krankheit temporär gefangene Füchsin in ihrem Verschlag aufnehmen will und erkennen muss, dass sich ihr unfreiwilliger Gast energisch dagegen zu wehren weiß.
Abseits der Unmittelbarkeit solch gelungen eingefangener Einzelszenen bleibt Brands Darstellung allerdings steckenweise etwas oberflächlich. Vielleicht der Wendung an eine allgemeine Leserschaft geschuldet, ist manches verkürzt oder zu generalisierend dargestellt. So lässt Brand es z.B. klingen, als würden dort, wo Füchse in Gruppen leben, dominante Fähen stets etwaigen Nachwuchs niederrangiger Weibchen unmittelbar nach der Geburt töten. Vergleicht man dies mit den Angaben in wissenschaftlicher Literatur zum Thema, ist das aber so pauschal nicht zutreffend. Es handelt sich eher um eine Verhaltensweise, die zwar vorkommen kann, aber beileibe nicht muss, da in Fuchsgruppen durchaus auch die Würfe verschiedener Fähen gleichzeitig oder sogar gemeinsam erfolgreich großgezogen werden (vgl. z.B. diese Studie über den Einfluss des sozialen Rangs des Muttertiers auf das Abwanderverhalten junger Füchse im englischen Bristol).
Abseits ihres eigentlichen Fachgebiets sind Brands Angaben ohnehin mit Vorsicht zu genießen. So ist etwa die Aussage, bei der im 11. Jahrhundert entstandenen japanischen Geschichte vom Prinzen Genji handele es sich um den „möglicherweise ältesten Roman der Welt“ (S. 33), bestenfalls eine umstrittene These, schlimmstenfalls aber sogar falsch (so werden in aller Regel auch bestimmte literarische Werke der Antike schon als Romane gewertet).
Gerade bei solchen Verallgemeinerungen oder Ungenauigkeiten bedauert man den generellen Verzicht der Autorin auf Fußnoten, da man hier doch gern nachvollzogen hätte, aus welchen Quellen sie ihre Angaben entnimmt. Auch sonst wirkt manches ein bisschen unglücklich, so etwa die in der Werkzeugkiste für Fuchsfreunde – einem Abschnitt mit praktischen Tipps zur Fuchsbeobachtung – gegen Ende des Buchs enthaltene Liste von möglichen Referats- und Dissertationsthemen mit Fuchsbezug; hier hat man fast das Gefühl, ein Pendant der unsäglichen Book Club Questions englischsprachiger Jugendliteratur in ein Sachbuch für Erwachsene übertragen zu sehen. Bedauerlich ist zudem, dass als Illustrationen nur Schwarzweißfotos enthalten sind. Ein Farbtafelteil hätte den Band sehr aufgewertet.
Trotz all dieser Einschränkungen werden Leserinnen und Leser, die Füchse mögen, an der Lektüre stellenweise dennoch ihr Vergnügen haben und besonders in den Passagen, in denen individuelle Fuchspersönlichkeiten geschildert werden, einiges zum Staunen und zum Schmunzeln finden. Alles in allem jedoch bleibt man mit dem Eindruck zurück, dass hier einem faszinierenden Tier ein doch eher mittelprächtiges Buch gewidmet worden ist.
Adele Brand: Füchse. Unsere wilden Nachbarn. München, C.H. Beck, 2020, 208 Seiten.
ISBN: 978-3406751134