Eigentlich plant Fermín, Mitarbeiter der Buchhandlung Sempere in Barcelona, seine große Liebe zu heiraten und seine wildbewegte Vergangenheit hinter sich zu lassen. Es gibt nur eine Schwierigkeit: Nicht genug damit, dass er seit Jahren unter einem falschen Namen lebt, er ist in dieser angenommenen Identität offiziell auch schon längst gestorben, was den bürokratischen Anteil der Eheschließung naturgemäß sehr verkompliziert. Doch während er noch nach einer Lösung für dieses Problem sucht und sich endlich seinem Freund, dem von eigenen Sorgen gebeutelten Buchhändlersohn Daniel, anvertraut, droht ihn sein düsteres Vorleben in Gestalt eines brandgefährlichen Bekannten aus seiner Haftzeit endgültig einzuholen …
Man ahnt schon: Insbesondere in den Rückblickspassagen des nicht linear aufgebauten, sondern an internen Verflechtungen und Bezügen zu den Vorgängerbänden reichen Romans lauert neben spannenden Verwicklungen, die leider nicht alle eine Klärung erfahren, einiges an Unerfreulichem, steht doch das Schicksal politischer Gefangener unter der Franco-Diktatur im Zentrum von Fermíns Hintergrundgeschichte. Was an Entbehrungen und ärgsten Misshandlungen geschildert wird, ist nicht unbedingt etwas für schwache Nerven.
Die Art, wie Ruiz Zafón davon und von allem anderen erzählt, ist jedoch trügerisch humorvoll und spöttelnd und hat in der Übersetzung von Peter Schwaar viel Schwung und Wortwitz (wenn man auch an einigen Stellen spürt, dass man den Text nicht in seiner Originalsprache vor sich hat).
Zudem finden sich zahlreiche Anleihen an die Weltliteratur, die teils explizit gemacht werden (wie im Falle des als praktische Handlungsanleitung genutzten Grafen von Monte Christo), teils nur andeutend mitschwingen (so dürfte etwa der Titel Aus der Welt der Toten für den Abschnitt über Fermíns Gefängnisaufenthalt kein Zufall sein, zumal auch manch ein Motiv in den entsprechenden Kapiteln wie bei Dostojewskij entlehnt wirkt). Der immer wieder aufscheinende starke Dumas-Bezug spiegelt sich auch in allerlei Wendungen und Beschreibungen, die in einem klassischen Mantel-und-Degen-Roman des 19. Jahrhunderts nicht fehl am Platze wären, und letztlich auch in der pikaresk angehauchten Gestalt des Fermín selbst, der, immer einen flotten Spruch auf den Lippen und sinnlichen Genüssen überaus zugeneigt, einen maßgeschneiderten Helden für diese Art von Abenteuer abgibt.
An allen Ecken und Enden ist also zu spüren, wie gezielt und bewusst Ruiz Zafón seine Geschichte konstruiert – und vielleicht ist es gerade das, was einen daran hindert, jemals völlig zu vergessen, dass man es mit Kunstfiguren in einer Kunstwelt zu tun hat. Das Lesevergnügen spielt sich größtenteils auf der intellektuellen Ebene ab, und der wohlige Moment, in dem man emotional in dem Roman aufgeht und mit seinen Protagonisten mitfiebert wie mit echten Menschen, will sich einfach nicht recht einstellen. So lacht man über manche Pointe, würdigt die augenzwinkernden Beschreibungen des Lebens in Barcelona, zieht innerlich den Hut vor dieser oder jener geschickten Anspielung und bleibt doch stets ein wenig auf Distanz.
Natürlich spricht das nicht unbedingt gegen eine Lektüre, es ist nur ein Faktor, auf den man sich bei entsprechendem Lesetemperament einstellen sollte, um nicht leise enttäuscht zu sein. Wenngleich also die letzte Begeisterung nicht aufkommen will, ist Der Gefangene des Himmels ein Buch, das von beträchtlichem schriftstellerischem Können zeugt und die ungeheure Popularität seines Autors nachvollziehbar macht.
Carlos Ruiz Zafón: Der Gefangene des Himmels. Frankfurt am Main, Fischer, 2. Aufl. 2013, 403 Seiten.
ISBN: 9783596195855