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Eine Frau am Telefon

Die Ehe ist längst gescheitert, die Kinder sind aus dem Haus: Charlène versucht, sich im Leben neu zu orientieren, und hofft, vielleicht noch einen zweiten Frühling zu erleben, als eine Krebserkrankung ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen droht. Da hilft nur eines: ausgedehnte Telefonate mit der erwachsenen Tochter, der Charlène ungehemmt ihr Herz ausschütten kann …
Wer schon immer heimlich den bösen Verdacht hatte, dass der Unterschied zwischen Trivialliteratur und anspruchsvollen Texten nicht unbedingt immer im Inhalt, sondern oft nur in der Form besteht, wird sich darin durch die Frau am Telefon voll und ganz bestätigt finden. Charlènes mehr als einmal hart am Klischee vorbeischrammende Erlebnisse zwischen Onlinedating, Krankenhausleid, Pauschaltourismus, im Keim scheiternden schriftstellerischen Ambitionen, Familienzwist und Aufenthalt in der Psychiatrie könnten eigentlich auch einen lockeren Unterhaltungswälzer füllen. Das besondere an Carole Fives Roman Eine Frau am Telefon ist also weniger das, was geschildert wird, sondern die Tatsache, dass der Titel Programm ist (und – übrigens eine Seltenheit – tatsächlich einmal den französischen Originaltitel Une femme au téléphone exakt übersetzt). Der gesamte Text besteht aus einem endlosen, auf verschiedene Telefonate aufgeteilten Monolog der Protagonistin, die in unterschiedlichen Stimmungen und Situationen ihrer Tochter mitteilt, was in ihrem Leben gerade passiert und was ihr dazu durch den Kopf geht.
Gefiltert durch den Blick dieser stets emotionalen, oft auch launischen und schwierigen Ich-Erzählerin entsteht so ein ganzer kleiner Kosmos aus Freunden, Kindern, Enkeln und Männerbekanntschaften, an denen sich Charlène himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt abarbeitet. Das ist teils unterhaltsam, teils nervtötend und könnte in gekürzter Form auch ein amüsantes Ein-Personen-Stück für die Bühne statt eines Romans abgeben. Stilistisch bleibt in der Übersetzung von Anne Braun gut die Anmutung des gesprochenen (manchmal auch geradezu hervorgesprudelten) Worts gewahrt, so dass man streckenweise durchaus glauben kann, hier eine Seite eines echten Telefongesprächs zu belauschen. Auf die Dauer jedoch stellt sich ein wenig der Eindruck einer überlangen Schreibübung ein, weil der Hauptreiz eben wirklich nur in der originellen Erzählweise und der Charakterisierung der in ihrer Subjektivität unzuverlässig berichtenden Protagonistin besteht. Mehr als die 127 Seiten, die das Buch umfasst, hätte dieser Ansatz wohl nicht hergegeben, aber als Experiment ist er durchaus lesenswert und etwas anderes als die gewohnte Romankost.

Carole Fives: Eine Frau am Telefon. Wien, Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, 2018, 127 Seiten.
ISBN: 9783552063624


Genre: Roman