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Der Buchspazierer

Der Buchhändler Carl Kollhoff ist eigentlich schon im Ruhestand, aber nicht ganz – an einzelne Kunden in der pittoresken Kleinstadt, in der er lebt, liefert er immer noch jeden Abend Buchbestellungen persönlich aus. Wie lange es damit noch weitergehen kann, ist allerdings offen, denn die neue Inhaberin der Buchhandlung ist nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen erpicht darauf, den in ihren Augen lästigen alten Mann endlich ganz aufs Abstellgleis zu drängen. Doch Carl hängt an seinen Gewohnheiten und möchte keine Veränderung, zunächst noch nicht einmal die, dass sich ihm auf seiner Runde durch die Stadt ein munteres kleines Mädchen anschließt. Aber Schascha ist hartnäckig und verändert nicht nur Carls Leben zum Besseren, sondern auch das der Buchbesteller, bis alles dann jäh eine böse Wendung nimmt …

Die Kapitelüberschriften, die bekannten Buchtiteln entlehnt sind, und die Figuren, die romanintern als Spitznamen die Namen anderer literarischer Gestalten bekommen, zeigen es schon: Der Buchspazierer von Carsten Henn ist eine Geschichte über die Macht des Lesens und auch die menschenverbindende Kraft, die einer gemeinsamen Freude an Büchern innewohnt. Dabei soll erkennbar niemand überfordert werden: Die Handlung verläuft so geradlinig, dass man ihr manchmal im Stillen ein paar Umwege wünscht, und die Rollen sind von Anfang an klar verteilt. Bestimmte Entwicklungen und Konflikte kommen deshalb nicht unbedingt überraschend.

Aber ein Spannungsroman mit einer Fülle unvorhersehbarer Wendungen soll das Buch auch gar nicht sein. Vielmehr beschwört es voller Nostalgie herauf, was verloren geht, wenn man den Buchhandel nur als Branche wie jede andere betrachtet und die menschliche Komponente, die persönliche Buchempfehlungen erst zu etwas Besonderem macht, vernachlässigt. Passend dazu ist Der Buchspazierer auch in einer historischen Altstadt unterwegs, die eine gute alte Zeit zu evozieren scheint, und dass die Lösung nicht aller Probleme, aber doch eines entscheidenden gegen Ende des Buchs ausgerechnet mit einem Antiquariat zusammenhängt, ist sicher ebenfalls gewollt.

Bestimmt wird dabei nicht jedem gefallen, dass am Schluss rein zufällig (oder eben auch nicht) verdächtig viele günstige Umstände zusammenkommen, um Carls Geschichte (und auch die Schaschas und die der in der Stadt ansässigen Leserinnen und Leser) nicht in einer Tragödie enden zu lassen. Ob auch im wahren Leben genug Geld und guter Wille vorhanden wären, um möglich zu machen, was sich hier ergibt, weiß man nicht so recht. Aber da die Figuren überwiegend sympathisch gezeichnet sind, gönnt man ihnen den optimistischen Ausgang, und auf dem Weg dorthin darf immerhin ein paar Mal kräftig gelacht werden (wenn etwa jemand, dem die Handlung von Goethes Werther geschildert wird, das mit „Hammerende!“ kommentiert). Alles in allem ist Der Buchspazierer eine nette kleine Lektüre für Bücherfans und solche, die es vielleicht erst noch werden wollen, denn dass es dafür nie zu spät ist, nimmt man als Botschaft aus dem Roman mit.

Carsten Henn: Der Buchspazierer. 14. Aufl. München, Pendo (Piper Verlag), 2021, 224 Seiten.
ISBN: 978-3-86612-477-6


Genre: Roman