Frankreich zur Zeit des Algerienkriegs. Drei Soldaten wider Willen – der Intellektuelle Lachaume, der Kommunist Valette und der Lebemann Lasteyrie – verbringen ihren kurzen Heimaturlaub in Paris. Doch die dortige Bevölkerung will von dem fernen Krieg möglichst wenig wissen, und auch Angehörige und Freunde stehen der belastenden Situation eher hilflos gegenüber. Gemeinsam mit der jungen Deutschen Lena lassen die drei sich ziellos durch Paris treiben, während die Rückkehr nach Nordafrika unaufhaltsam näherrückt …
Antikriegsliteratur muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, gutgemeint, aber nicht effektiv zu sein. Die enthaltenen Kriegsschilderungen, so das Argument, könnten der Leserschaft durchaus auch aus den falschen Gründen gefallen und so den eigentlich intendierten Zweck in sein Gegenteil verkehren.
Der im Original schon 1957 erschienene Roman des ehemaligen Résistance-Kämpfers Daniel Anselme ist ganz eindeutig ein Plädoyer gegen den Krieg, schlägt aber einen anderen Weg ein, als ausführlich Schrecken und Blutvergießen zu schildern. Die schlimmen Erlebnisse der drei jungen Wehrpflichtigen werden nur in Andeutungen skizziert, aber umso detailreicher und einfühlsamer wird gezeigt, was ihre Erfahrungen bei ihnen angerichtet haben. Früher Wichtiges und Tröstliches – sei es nun Lachaumes geliebte Klassikerlektüre oder Valettes harmonisches Familienleben – reicht nicht mehr aus, um das Durchgemachte zu verarbeiten und auszugleichen, und Gesellschaft und Politik scheinen nur mit Gleichgültigkeit und Untätigkeit auf die Situation zu reagieren. Bezeichnenderweise ist die Einzige, die zeitweise so etwas wie eine Illusion von Geborgenheit spenden kann, mit Lena eine Fremde aus dem Deutschland der Nachkriegszeit, die mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen hat.
Um dieses Gefühl der Entfremdung in der eigenen Heimat besser zu verstehen, empfiehlt es sich, vor dem eigentlichen Roman das Nachwort der Übersetzerin Julia Schoch zu lesen, die nicht nur bei der Übertragung ins Deutsche, sondern auch bei der Einordnung in den historischen Kontext großartige Arbeit leistet. Sie zeichnet das Bild eines verheerenden, aber totgeschwiegenen Konflikts, der in Frankreich prägend für eine ganze Generation junger Männer wurde und bis heute Auswirkungen hat.
Wer allerdings nun glaubt, mit Adieu Paris ausschließlich einen deprimierenden und düsteren Roman vor sich zu haben, dessen Stärken allein in eindringlicher Kritik und der Darstellung verzweifelter Ausweglosigkeit liegen, tut dem Buch unrecht. Denn Daniel Anselme ist trotz seines ernsten Themas ein sehr unterhaltsamer Erzähler mit gutem Gespür für pointierte Dialoge und interessanter Figurenkonstellationen, vor allem aber auch ein grandioser Schilderer des alten Paris gewissermaßen „von unten“, von Kneipen, Arbeitervierteln, schäbigen Hotels und Straßenszenen. Ungeachtet der betroffen machenden historischen Situation schwingt in der Beschreibung des Driftens durch die Stadt und der Suche nach Ablenkungen oft ein Hauch von Leichtigkeit und Poesie mit, der deutlich macht, dass es viel Lebenswertes gäbe, wenn über den Protagonisten nicht das Damoklesschwert der Rückkehr ins Kriegsgebiet hängen würde. So ist der Roman nicht nur thematisch lesenswert, sondern zugleich bemerkenswerte Erzählkunst.
Daniel Anselme: Adieu Paris. Zürich / Hamburg, Arche Literatur Verlag, 2015 (Original: 1957), 206 Seiten.
ISBN: 9783716027196