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Die Weisheit der Wölfe

Wölfe haben in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer keinen leichten Stand: Das Image des „bösen Wolfs“ ist schwer abzuschütteln, und die andererseits bisweilen betriebene Romantisierung wird den klugen und sozialen Tieren ebenso wenig gerecht. Dem wirklichen Wesen der Wölfe versucht Elli H. Radinger sich in Die Weisheit der Wölfe anzunähern.
Das Buch in eine der gängigen Schubladen einzuordnen, ist dabei fast unmöglich: Vordergründig ist es zwar naturkundlich ausgerichtet und schildert vor allem Beobachtungen an den Wolfsrudeln im amerikanischen Yellowstone-Nationalpark, doch es hat zugleich eine philosophische Komponente, wenn Radinger immer wieder herausarbeitet, inwieweit das Verhalten der Wölfe dem menschlichen ähnelt oder ihm sogar als Vorbild dienen kann. Wer eher trockene Sachtexte gewohnt ist, wird vielleicht sogar einen kleinen Kulturschock erleben, denn Die Weisheit der Wölfe ist bewusst emotional geschrieben – nicht sentimental (die Tiere werden keineswegs verniedlicht), sondern von viel Enthusiasmus und Sympathie für Wölfe im Allgemeinen und manche Exemplare im Besonderen getragen. Ob und inwieweit man sich darauf einlassen mag, ist sicher Geschmackssache, aber wenn man es tut, wird man mit einem intensiven Ausflug in eine faszinierende Welt belohnt.
Wie Wölfe in freier Wildbahn miteinander, mit ihrer Beute und mit weiteren Lebewesen interagieren, ist, wie man hier erfährt, erst relativ spät erforscht worden. Noch immer sind die populären Vorstellungen daher stark von Beobachtungen geprägt, die man an in Gefangenschaft gehaltenen Wölfen gemacht hat, deren Zwangsgemeinschaften mit der natürlichen, überwiegend familiär geprägten Rudelstruktur wenig gemein haben. „Alphatiere“ und dergleichen mehr tauchen hier deshalb nur als kritisierte und überholte Konzepte auf.
Stattdessen erfährt man viel über den fürsorgliches Miteinander, clevere Jagdstrategien, erbitterte Kämpfe gegen rivalisierende Rudel, Anpassungsfähigkeit, ausgelassene Spiele, die Zusammenhänge in ganzen Ökosystemen und – besonders spannend – die fast freundschaftliche Zusammenarbeit mit Raben bei der Beutesuche. Auch den weitverbreiteten Ressentiments gegenüber Wölfen und nicht zuletzt der Rückkehr des Wolfs nach Deutschland, die nicht bei allen Begeisterung auslöst, obwohl sie eigentlich zu begrüßen ist, sind Kapitel gewidmet.
Wer sich schon eingehender mit Wölfen befasst hat, wird hier zwar viel Bekanntes wiederfinden, aber die Lektüre von Radingers Buch lohnt sich dennoch, da bei ihr einzelne Tiere deutlicher als anderswo als Individuen hervortreten. Wölfe – so wird einem klar – ähneln Menschen auch in der Hinsicht, dass vieles vom Charakter des Einzelnen abhängt und nicht jeder denselben Weg beschreitet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Oft scheinen sie dabei weit mehr im Einklang mit sich und ihrer Umwelt zu sein als Menschen, so dass Radinger immer wieder dafür plädiert, sich einiges bei ihnen abzuschauen. Hier sind manche Interpretationen natürlich sehr subjektiv, aber insgesamt ist die Überlegung, dass der Blick in die Natur helfen kann, innezuhalten und eigene Gewohnheiten und Denkmuster zu hinterfragen, sicher nicht falsch.
Neben zahlreichen schönen Fotos (teilweise sogar in Farbe) runden einige praktische Hinweise den Band ab. Außer Tipps zum richtigen Verhalten wilden Wölfen gegenüber ist hier auch eine Art kleiner Reiseführer enthalten, falls man selbst planen sollte, den Protagonisten des Buchs in den USA einen Besuch abzustatten. Wer keinen wissenschaftlich-trockenen, sondern eher einen mitreißenden und schwungvoll lesbaren Zugang zum Thema Wolf sucht, findet hier also genau das Richtige.

Elli H. Radinger: Die Weisheit der Wölfe. Wie sie denken, planen, füreinander sorgen – Erstaunliches über das Tier, das dem Menschen am ähnlichsten ist. München, Ludwig, 2017, 288 Seiten.
ISBN: 9783453280939


Genre: Sachbuch allgemein