Es ist nicht einfach, Die Religion der Römer – so der Titel der Überblicksdarstellung von Jörg Rüpke – methodisch zu erfassen. Zwar gab es im alten Rom durchaus Schriften über Religiöses (ob nun Mythen oder Rituale), aber, anders als in den heute dominierenden monotheistischen Religionen, keinen für alle verbindlichen kanonischen Grundlagentext und abgesehen von einigen Mysterienkulten und Vereinen auch keine feste Glaubenszugehörigkeit, sondern nur Partizipation an religiösem Handeln. Ähnlich wie in seinem jüngeren Werk Pantheon baut Rüpkes Argumentation daher auf der Annahme auf, dass man neuzeitliche Begriffe von Religion und Religiosität nicht ohne Abstriche auf die Antike übertragen kann, wenn man deren einerseits offeneres, andererseits aber viel enger mit dem Alltagsleben verflochtenes religiöses System verstehen möchte.
Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem stadtrömischen Bereich, in dem sich besonders gut beobachten lässt, wie eng die Religionspraxis der Eliten mit der Politik verknüpft war, übrigens auch, was die Übernahme von religiösen Ämtern betraf, die überwiegend nicht in Form eines Berufspriestertums, sondern als zusätzliche Aufgaben anderweitig tätiger Personen existierten (z.B. war der eher als Autor, Redner und Politiker im Gedächtnis gebliebene Cicero gleichzeitig auch Augur, also damit betraut, durch die Beobachtung von Vögeln Vorzeichen zu erkennen). Neben dieser untrennbar mit dem sozialen und politischen Gefüge des Stadtstaats verknüpften Form von Religion gab es jedoch zahlreiche Spielarten privater Religiosität. So erfährt man beispielsweise, welche Ratschläge Cato der Ältere für ein Trankopfer an Jupiter im Rahmen des Kults auf einem Landgut gibt (wobei der Hausherr und seine familia am Ende mehr vom Wein abbekommen als der Gott).
Während die römische Götterfülle im Text nur eine Nebenrolle spielt (und es bei der Lektüre sicher nicht schadet, diesbezüglich schon ein paar Vorkenntnisse mitzubringen, um die genannten Gottheiten zuordnen zu können), wird rituelles Handeln vom Opfer über das Gelübde bis hin zum Umgang mit Geburt und Tod ausführlich geschildert. Besondere Aufmerksamkeit wird auch der Bedeutung von Raum und Zeit im religiösen Kontext gewidmet. Daneben ist noch Platz für mancherlei Kuriosa, die aus heutiger Sicht eher in den Bereich des Aberglaubens fallen (wie z.B. eine auch in einer Abbildung präsente, nach Art einer Voodoopuppe mit Nadeln gespickte Tonstatuette, die im Rahmen eines Liebeszaubers eingesetzt wurde).
Generell sieht Rüpke dabei die in die Christianisierung mündende religiöse Entwicklung der Kaiserzeit von zwei Tendenzen geprägt, einerseits vom Versuch der Kaiser, die in der Republik noch auf viele Schultern verteilte religiöse Autorität immer stärker zu monopolisieren, andererseits aber auch von dem zunächst von einzelnen Kulten getragenen Bestreben, die Religion als vom Alltag und von der Politik getrennte Kategorie zu etablieren. Obwohl er vor vereinfachenden Modellen wiederholt warnt, gelingt es ihm so, auch für Laien nachvollziehbare Verständniszugänge in sein bisweilen durchaus sperriges Thema zu eröffnen. Alles in allem bildet Die Religion der Römer damit eine anregende Einführung, die viele Denkanstöße bereithält.
Nur das Lektorat war wohl nicht in Bestform. Anders ist nicht zu erklären, dass in der Bildlegende auf S. 181 ein happiger Fehler stehen geblieben ist: Wenn dort von der „Maison Carré aus Nîmes (Narbo)“ die Rede ist, fragt man sich, warum niemandem aufgefallen ist, dass Nîmes, das antike Nemausus, nicht mit Narbo, dem heutigen Narbonne, identisch ist. So gut erhalten und schön die Maison Carrée (tatsächlich in Nîmes) auch ist – das hätte, gerade in der 3. Auflage des Buchs, eigentlich nicht passieren dürfen.
Jörg Rüpke: Die Religion der Römer. 3. Aufl. München, C.H. Beck, 2019, 264 Seiten.
ISBN: 978-3-406-73774-9