Die im Titel des schönen Bandes von Johannes Müller aufgelisteten Großsteingräber, Grabenwerke, Langhügel sind die eindrucksvollsten und bekanntesten Zeugnisse der Jungsteinzeit in Mitteleuropa, obwohl nur ein Bruchteil des ursprünglichen Bestands bis heute erhalten geblieben ist. Sie sind aber nicht das alleinige Thema des Buchs, das vielmehr mit geographischem Schwerpunkt auf Norddeutschland ein Panorama einer ganzen Epoche, der sogenannten Trichterbecherzeit (ca. 4100 bis 2800 v. Chr.), entwirft. Bevor der Blick sich auf Frühe Monumentalbauten Mitteleuropas (so der Untertitel) richtet, werden in der ersten Hälfte des Texts zunächst einmal kenntnisreich und detailfreudig Umwelt und Lebensweise der Menschen geschildert, die diese Denkmäler errichteten und oft über lange Zeiträume hinweg nutzten.
Es entsteht das Bild einer relativ wohlhabenden Gesellschaft, in der sakraler und profaner Bereich eng ineinandergriffen und überwiegend egalitäre Verhältnisse herrschten. Zwar gab es offenbar einzelne besonders geachtete und bedeutende Persönlichkeiten, die über den Tod hinaus für ihre Gemeinschaft wichtig blieben (so etwa eine um 3350 v. Chr. in der Siedlung Oldenburg-Dannau bestattete Frau, deren Grab über Jahrhunderte respektiert wurde und die als Gründerin des Dorfs gedeutet wird). Große soziale Unterschiede (ablesbar etwa an einer höherwertigen Ernährung für Bessergestellte) sind jedoch, anders als in späteren Zeiten, für die Trichterbecherkultur noch nicht erkennbar, und auch Hinweise auf gewalttätige Konflikte und ein kriegerisches Selbstverständnis fehlen größtenteils und finden sich erst sehr spät am Übergang zur anschließenden Einzelgrabkultur.
Interessant an diesem Befund ist vor allem die Beobachtung, dass der Bau der großen Megalithanlagen, der ab etwa 3500 v. Chr. einsetzte, mit einer klimatisch ungünstigen und für die Menschen sicher krisenhaften Periode zusammenfiel. Neben technologischen Neuerungen in der Landwirtschaft und im Handwerk trugen also offensichtlich die gemeinschaftlichen Anstrengungen von Dutzenden bis Hunderten von Personen, die zur Errichtung und Bewahrung der monumentalen Bauwerke notwendig waren, erheblich dazu bei, die schwierige Phase zu meistern. In seinen Deutungen, inwieweit Bau und Nutzung in religiöser und politischer Hinsicht zur Identitätsstiftung und Konfliktvermeidung beigetragen haben mögen, bleibt Müller stets angenehm zurückhaltend und sachlich: Vieles lässt sich eben nur vermuten, nicht sicher feststellen, auch wenn Vergleiche mit Gesellschaften, die heute noch Großsteinanlagen errichten (z.B. in Indonesien oder Indien), bestimmte Zusammenhänge erhellen können und auf ein ganz anderes Verständnis von Prestige und Reichtum als in der modernen westlichen Welt hindeuten.
Seine Anschaulichkeit gewinnt das Buch dabei vor allem aus seiner üppigen Bebilderung mit Fotos, Rekonstruktionszeichnungen, Kartenmaterial und anderen Grafiken, die oft zentrale Aspekte hervorheben, die in der Detailfülle des Texts sonst ein wenig untergehen könnten. Ein Glossar fehlt dagegen, so dass Laien wahrscheinlich mehr Freude an der Lektüre haben, wenn sie schon etwas Wissen über bestimmte archäologische Grundbegriffe mitbringen und nicht gerade mit diesem Buch den allerersten Einstieg in die Vor- und Frühgeschichte wagen. Vorkenntnisse helfen auch, zu erkennen, dass nicht unbedingt eine umfassende Auflistung aller Fundstellen und Megalithanlagen angestrebt ist (so ist z.B. die Übersichtskarte auf S. 112 eher selektiv). Angesichts des geringen Buchumfangs wäre das wohl auch nicht zu leisten gewesen. Als Fenster in eine ebenso ferne wie spannende Epoche und als Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema sind die Großsteingräber, Grabenwerke, Langhügel aber unbedingt lesenswert und echte Bereicherung der Literatur über die Jungsteinzeit.
Johannes Müller: Großsteingräber, Grabenwerke, Langhügel. Frühe Monumentalbauten Mitteleuropas. Darmstadt, Theiss (WBG), 2017, 112 Seiten.
ISBN: 9783806234640