Die junge Tao zieht als fahrende Wahrsagerin durch die Lande, achtet nach schlechten Erfahrungen aber darauf, nur kleine Vorhersagen zu treffen und nichts allzu Weltbewegendes zu prophezeien, hat sie doch gute Gründe, nicht die Aufmerksamkeit der mächtigen Magiergilde auf sich ziehen zu wollen. Eine Zufallsbegegnung mit dem ehemaligen Söldner Mash und dem Gauner Silt bringt ihren Alltagstrott jedoch gehörig aus dem Gleichgewicht. Von Mash genötigt, bei der Suche nach dessen verschwundener, vielleicht gar entführter Tochter zu helfen, findet Tao in der kleinen Gruppe, zu der bald noch die abenteuerlustige Bäckerin Kina und die streunende Katze Fidelitus stoßen, so etwas wie eine Wahlfamilie. Doch wie viel Idylle lässt sich abseits des großen Weltgeschehens aufrechterhalten, wenn sich die politischen Spannungen zwischen Taos Herkunftsland Shinara und ihrer neuen Heimat Eshtera allmählich bis zur Kriegsgefahr steigern, die Gilde Tao doch noch auf die Spur zu kommen droht und jeder Hinweis auf das verschollene Kind ins Leere zu laufen scheint?
Eine unauffindbare Vierjährige, Rassismuserfahrungen der Hauptfigur, aus der Not geborene Kriminalität, eine Gilde, die Magiebegabte zwangsrekrutiert, und ein am Horizont aufziehender bewaffneter Konflikt – aus diesen Zutaten ließe sich ein ziemlich düsteres Buch machen. Aber Julie Leongs Roman The Teller of Small Fortunes ordnet sich dezidiert in das derzeit beliebte Subgenre Cozy Fantasy ein, und so ist es kein Wunder, dass hier die gemütlichen Abende am Lagerfeuer und in der Taverne, relativ harmlose Abenteuer am Wegesrand und die Herausbildung einer Freundesgruppe, die füreinander durch Dick und Dünn geht, die Hauptrolle spielen.
So sympathisch der Roman dadurch auch daherkommt, wünscht man ihm doch, gerade in Bezug auf die Figurenzeichnung und die vermittelten Lebensweisheiten, mehr Tiefe und Raffinesse. Während Taos Situation als unfreiwillige Migrantin und ihr unter anderem dadurch schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter, deren Heirat mit einem neuen Mann nach dem Tod von Taos Vater zur Übersiedlung von dem von China inspirierten Shinara ins europäisch anmutende Eshtera führte, durchaus sensibel und mit Zwischentönen dargestellt sind, werden andere Themen deutlich simpler behandelt. Julie Leong scheint großen Wert darauf zu legen, dass ihr Publikum ihre Einsichten und Ratschläge auch garantiert nicht missversteht, und so ist vieles sehr dick aufgetragen, statt unterschwellig vermittelt zu werden (besonders plakativ kommt in diesem Zusammenhang die Szene mit dem Brückentroll im 8. Kapitel daher, dem Kina in einer Art philosophisch-küchenpsychologischer Debatte leidenschaftlich ihre Lebenseinstellung auseinandersetzt). Auch die Art, wie immer wieder verbreitete Fantasy- und Rollenspielklischees auf die Schippe genommen werden, ist nicht unbedingt subtil.
Dieses gewisse Maß an Schlichtheit findet sich auch auf der Ebene der Wortspiele wieder (die aufgrund der darin zum Tragen kommenden verschiedenen Bedeutungen von fortune – „Schicksal“, „Glück“, aber auch „Vermögen“ – eine Übersetzung in eine andere Sprache nicht einfach machen dürften), denn fast schon zwangsläufig erfindet Bäckerin Kina im Laufe des Romans natürlich die fortune cookies, also Glückskekse. Ob man diesen Einfall eher zum Schmunzeln oder zum Fremdschämen findet, hängt vermutlich sehr von der individuellen Disposition ab.
Doch die Eigenart, ein wenig zu sehr an der Oberfläche zu bleiben, ist in der Cozy Fantasy ohnehin nicht selten, als wolle man sein Publikum in einer Geschichte, die warmherzig und aufmunternd sein soll, auch ja nicht intellektuell überfordern. Der Markt für inhaltlich nette Geschichten, die trotzdem etwas mehr erzähltechnischen Anspruch und Stoff zum Nachdenken bieten, ist wohl leider eher klein.
Alles in allem ist The Teller of Small Fortunes daher eine passagenweise ganz unterhaltsame Lektüre für zwischendurch, aber nicht unbedingt mehr, auch wenn man das Buch aufgrund einiger guter Ansätze gern lieber mögen würde, als es einem am Ende gelingt.
Julie Leong: The Teller of Small Fortunes. New York, Ace (Penguin Random House), 2024, 328 Seiten.
ISBN: 978-0-593-815191-5