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Frühe Kulturen der Ägäis (Band 2)

Das hier rezensierte Buch ist der zweite Band eines zweiteiligen Werks. Die Besprechung von Band 1 ist hier zu finden.

Im zweiten Band seiner Frühen Kulturen der Ägäis konzentriert sich Klaus Tausend auf das mykenische Griechenland, das, wie er in der Einleitung erläutert, auch seinen Forschungsschwerpunkt darstellt (wobei ihn politische und militärhistorische Fragen besonders beschäftigen, was sich auch in der Gewichtung bestimmter Themen im Buch niederschlägt, aber dazu später mehr).

Aufgeteilt ist der Band in zwei große Oberkapitel, deren erstes sich der Ereignisgeschichte widmet, während das zweite Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur der mykenischen Zeit darstellt. Sich den mykenischen Griechen aus ereignishistorischer Perspektive zu nähern, ist dabei kein einfaches Unterfangen, da sie mit Linear B zwar eine Schrift hatten, diese aber – soweit bisher bekannt – ausschließlich zu Verwaltungszwecken nutzten (anders als in anderen Kulturen ihrer Epoche gab es noch nicht einmal Inschriften, die herrscherlicher Repräsentation oder religiösen Zwecken gedient hätten). Erzählende Quellen existieren daher bestenfalls im Ansatz und immer nur in den Fällen, in denen mykenische Akteure etwa mit Hethitern oder Ägyptern in Kontakt (und nicht selten auch Konflikt) gerieten. Das Wenige, was daraus zu entnehmen ist, mit den weit umfangreicheren archäologischen Funden unter einen Hut zu bringen, erfordert Interpretationen, die auch spekulative Elemente beinhalten können, und so gibt Tausend hier immer wieder ausführlicher als im ersten Band auch Forschungsdebatten wieder (etwa zu der Frage, wie umfangreich man sich das in hethitischen Dokumenten mit Ahhijawa bezeichnete Gebiet vorzustellen hat und wo es zu lokalisieren ist – hier reicht die Bandbreite von Deutungen von einem örtlich relativ eng begrenzten Herrschaftsraum, der an unterschiedlichsten Stellen vermutet wird, bis hin zum kompletten mykenischen Griechenland).

Im Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur beleuchtenden zweiten Teil des Buchs werden nicht nur die erhaltenen Gebäudereste sowie Kunstwerke und das, was man über Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur der mykenischen Welt rekonstruieren kann, vorgestellt, sondern auch immer wieder Kontinuitäten zu der in ihren Einzelheiten besser überlieferten griechischen Welt ab der archaischen Zeit deutlich, etwa, was bestimmte Götternamen betrifft, die schon hier in der Bronzezeit belegt sind. Den Forschungsinteressen des Verfassers entsprechend, erhalten auch Militär und Kriegsführung ein eigenes Unterkapitel, während andere Bereiche eher kursorisch gestreift werden (so erfährt man beispielsweise sehr wenig über die Rolle von Frauen, die nur als Priesterinnen und als im Krieg verschleppte, möglicherweise versklavte Arbeitskräfte kurz auftauchen).

Wie schon beim ersten Band hat man an einzelnen Stellen das Gefühl, dass noch ein Korrekturdurchgang mehr nicht hätte schaden können (so fällt z. B. auf, dass das sogenannte „Schatzhaus des Atreus“, ein nach der Sagengestalt Atreus benanntes Grab bei Mykene, hier durchgängig „Schatzhaus des Artreus“ geschrieben wird). Insgesamt aber bildet dieser zweite Band der Frühen Kulturen der Ägäis einen interessanten und nicht viel Vorwissen voraussetzenden Einstieg in die mykenische Welt, der zahlreiche Abbildungen (wie Kartenmaterial und Fundfotos) bietet und, anders als die Einführung zum selben Thema von Deger-Jalkotzy und Hertel, aus einem Guss und dadurch eingängiger lesbar ist.

Klaus Tausend: Frühe Kulturen der Ägäis. Band 2: Das Zeitalter der homerischen Helden. Stuttgart, Kohlhammer, 2024, 236 Seiten.
ISBN: 978-3-17-040950-7


Genre: Geschichte

Frühe Kulturen der Ägäis

Der Titel ist Programm: In Frühe Kulturen der Ägäis stellt Klaus Tausend unter dem ansprechenden Untertitel Die Ahnen der homerischen Helden die Kulturen des Ägäisraums vom Neolithikum bis in die mittlere Bronzezeit vor, teilweise mit einzelnen Ausblicken in spätere Epochen. Ein zweiter Band, der sich mit der Spätbronzezeit bis frühen Eisenzeit und insbesondere mit den Mykenern befassen soll, ist in Planung. Gedacht ist die Einführung nicht nur für das Studium, sondern auch für ein an der Epoche interessiertes breites Publikum. Anders als in einer reinen Fachpublikation wird dementsprechend auch überwiegend auf eine Auseinandersetzung mit Forschungsdebatten verzichtet, sondern vor allem nüchtern die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung referiert.

Nach einer Einleitung, die nicht nur einen knappen forschungsgeschichtlichen Überblick bietet, sondern auch die Fragwürdigkeit des Ansatzes erläutert, aus den griechischen Sagen allzu konkrete Rückschlüsse auf tatsächliche historische Geschehnisse ziehen zu wollen, ist die Darstellung geographisch gegliedert. Jeweils ein Kapitel ist Troia, Zypern, den Kykladen, Kreta, Aigina und dem griechischen Festland gewidmet. In sich sind diese Kapitel chronologisch geordnet und schildern die Siedlungsgeschichte und kulturelle Entwicklung der einzelnen Gebiete. Eingangs erleichtert immer eine Tabelle zur örtlich unterschiedlichen Periodisierung der prähistorischen Epochen die Orientierung. Im Fließtext werden die allgemeinen Informationen dadurch aufgelockert, dass in farblich abgesetzten Kästen einzelne Fundorte als Beispiele beschrieben werden, sei es nun, dass sie besonders typisch für eine bestimmte Zeit sind oder dass sie bemerkenswerte Besonderheiten zu bieten haben. Hier erfährt man z.B. Näheres zu bestimmten Siedlungsschichten von Troia oder zum Palast von Knossos.

Wohl auch dank des guten Forschungsstands zu den dort lebenden Minoern enthält das Kapitel über Kreta zusätzlich eigene Abschnitte über Gesellschaft und Wirtschaft, Religion, Gräber und Bestattungen, Architektur und Kunst sowie Seefahrt und Schiffe, während diese Aspekte bei den anderen Regionen in die Unterkapitel zu den jeweils behandelten Epochen integriert sind.

Kartenmaterial, Grundrisse, Fotos einzelner Funde oder Ausgrabungsstätten und schematische Skizzen illustrieren den Band und tragen zur Anschaulichkeit bei. Insgesamt ermöglicht das Buch so einen übersichtlichen Einstieg in eine frühe Phase der Geschichte Griechenlands und ausgewählter angrenzender Regionen, der in dieser Kompaktheit sonst bisher gefehlt hat.

Nur das Korrekturlesen ist offenbar eher flüchtig erfolgt. Dieses Versäumnis wäre zu vernachlässigen, wenn dabei nur harmlose Fehler wie der übersehen worden wären, dass das Kapitel zur Insel Aigina die sonderbare Überschrift „Aiginabook“ trägt (S. 139, im Inhaltsverzeichnis, S. 6, dagegen schlicht „Aigina“). Leider brechen aber auch ganze Sätze ab, ohne dass man aus dem Kontext ihren Fortgang erraten könnte (z.B. S. 87), oder sind durch eine unglückliche Absatzgestaltung auseinandergerissen (z.B. S. 36 und 49). Falls es irgendwann zu einer Neuauflage der ansonsten sehr nützlichen Einführung kommt, besteht hier noch Verbesserungspotenzial.

Klaus Tausend: Frühe Kulturen der Ägäis. Band 1: Die Ahnen der homerischen Helden. Stuttgart, Kohlhammer, 2021, 194 Seiten.
ISBN: 978-3-17-036338-0


Genre: Geschichte