Paris 1640. Die Kompanie der Musketiere ist aufgelöst, ihr Hauptmann in die Verbannung geschickt. Der ehemalige Leutnant d’Artagnan hadert mit seinem Schicksal. Da erhält er von keinem Geringeren als Kardinal Richelieu ein schier unglaubliches Angebot: Die Musketiere könnten unter d’Artagnan als neuem Befehlshaber wieder zusammengerufen werden, wenn es ihm zuvor gelingt, das rätselhafte Verschwinden einer Adligen aufzuklären. Doch zu dem Zweck muss d’Artagnan das Undenkbare tun und in die Garde seines alten Gegenspielers eintreten …
Das Wichtigste vorab: Um Die Lilie in Kardinalrot voll und ganz genießen zu können, sollte man Alexandre Dumas‘ Klassiker Die drei Musketiere gelesen haben. Denn was Maren von Strom hier mit viel Verve, Herzblut und Humor vorlegt, ist eine alternative Fortsetzung der Geschichte, in der d’Artagnan einen ganz anderen Weg einschlägt als in den späteren Bänden von Dumas (Zwanzig Jahre danach und Der Vicomte de Bragelonne).
Als historischen Roman im strengen Sinne – also als literarische Aufbereitung tatsächlicher Ereignisse – sollte man die Lilie dabei nicht verstehen, sondern als pralles Abenteuer vor geschichtsträchtiger Kulisse. Die Autorin verlegt zwei verbürgte Vorfälle (die Verbannung des Kommandeurs der Musketiere kurz vor Richelieus Tod und die Auflösung der Truppe unter dessen Nachfolger Mazarin) um einige Jahre vor und lässt sie zusammenfallen, um daraus eine maßgeschneiderte Ausgangssituation für eine Räuberpistole um den etwas gereiften, aber nicht unbedingt auf allen Gebieten weise gewordenen d’Artagnan zu stricken.
Seine Vorliebe für Anjouwein und seine fragwürdige Herangehensweise an Beziehungen zum anderen Geschlecht hat er kein bisschen verloren, aber anders als im Original ist er hier kein jugendlicher Heißsporn, sondern ein nachdenklicherer Mann, der sich nicht mehr blind in jeden Kampf stürzt und liebgewonnene Gewissheiten zu hinterfragen beginnt.
Dies geschieht jedoch zugleich auch auf der Erzählerebene, und nicht allein deshalb, weil die ewigen Antagonisten der Musketiere hier einmal selbst in die Protagonistenrolle schlüpfen dürfen und so Soldaten des Kardinals, die bei Dumas kaum mehr als Namen sind, ihre eigene Persönlichkeit (und im Fall des Leutnants Jussac auch eine komplette Familie) gewinnen. Vielmehr wird auch gehörig an einigen Selbstverständlichkeiten klassischer Abenteuerliteratur gekratzt: Die unschönen Langzeitfolgen von Kampfverletzungen und Folterungen werden ebenso in den Blick genommen wie soziale Ungerechtigkeiten und die Kollateralschäden typischen Romanheldenverhaltens. Nicht für jede Figur, mit der man mitfühlt, gibt es ein Happy End.
Trotz dieser melancholischen Zwischentöne kommt allerdings der Unterhaltungswert nicht zu kurz, fügen sie sich doch in eine geradlinig erzählte, actionreiche Geschichte um List und Gegenlist, in der Bündnisse und Loyalitäten fast im Kapiteltakt wechseln und manch eine unvorhersehbare Wendung wartet.
Spaß machen dabei besonders die spritzigen Dialoge. Gerade d’Artagnan und Rochefort, der Meisterspion des Kardinals, werfen sich die Pointen oft gegenseitig zu. In vielen Formulierungen stecken dabei Anspielungen auf Die drei Musketiere, deren Erzählhaltung auch in den schwelgerischen Beschreibungen von Paris nachgeahmt wird. Wer Lust hat, sich von einem nostalgischen Mantel-und-Degen-Roman mitreißen zu lassen, der die Stärken des Genres ausspielt, zugleich aber dessen Schwächen selbstironisch bricht, findet in der Lilie in Kardinalrot deshalb vergnügliche Lektüre.
Maren von Strom: Die Lilie in Kardinalrot. Berlin, epubli, 2019, e-Book (auch als Taschenbuch erhältlich, ISBN: 978-3748554240).