Wird jemandem Eigensinn zugeschrieben, ist das selten als Kompliment gemeint. Von dieser Beobachtung geht Maria Almana in Mein Kompass ist der Eigensinn aus, um in einer sehr individuellen Mischung aus kulturhistorischer Betrachtung und Schreibratgeber eine positive Umdeutung des Begriffs vorzunehmen und ihre Leserinnen und Leser zu mehr Eigensinn, insbesondere auch beim Schreiben, zu ermuntern. Eigensinn steht für Almana nämlich nicht für egoistische Sturheit, sondern vielmehr für den Mut zur Individualität und das Bewusstsein für die eigene Subjektivität, die einem auch beim Bücherschreiben helfen können.
Ein typisches Selbsthilfebuch ist das, was sie vorlegt, allerdings nicht, auch wenn man an mehreren Stellen mithilfe kleiner Tests und Aufgabenstellungen überprüfen kann, wie es um den eigenen Eigensinn bestellt ist. Lektionen in mundgerechten Häppchen zum Durcharbeiten gibt es dagegen nicht, sondern einen mit einer Überfülle von Zitaten gespickten Spaziergang durch Literatur, Philosophie, Lebenskunst, Hirnforschung, Cultural Studies, Psychologie, Querdenken und Anderssein.
Dabei trifft man unter anderem auf den wortwörtlich seinen eigenen Weg gehenden Werner Herzog, auf den sich der Bedeutung verspielter Kreativität bewussten Johann Wolfgang von Goethe, den auf Selbstbeobachtung setzenden Michel de Montaigne, den unstillbar neugierigen Autodidakten René Descartes, dem durch Zeit und Raum flanierenden Walter Benjamin, die dem Eigensinn in Gestalt von Pippi Langstrumpf ein literarisches Denkmal setzende Astrid Lindgren und vor allem auch immer wieder auf Hermann Hesse und sein Anschreiben gegen Konventionen und Ideologien.
Auffällig an diesen Vorbildern an Eigensinn ist, dass es sich bei einer Mehrzahl von ihnen um Männer handelt – weil sie es im Vergleich zu Frauen oft leichter hatten und haben, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, oder weil ihr Eigensinn in vielen Fällen zumindest von der Nachwelt positiver als bei einer Frau wahrgenommen und damit auch auf breiterer Front rezipiert wird? Die Frage wird im Buch leider nicht geklärt, aber für die mit den Persönlichkeitsskizzen verflochtenen Anregungen, Leseempfehlungen und praktischen Tipps zum vor allem auch autobiographischen Schreiben ist das Geschlecht des Autors ohnehin sekundär.
Rasch wird in dem bunten Potpourri deutlich, dass Eigensinn beim Schreiben sich nicht auf die Originalität des Inhalts beschränken muss, sondern durchaus auch die Form erfassen kann: So erfährt man an bekannteren und unbekannteren Beispielen von einem Roman ohne den Buchstaben „e“, Sprachspielereien wie einem bewusst barockisierenden Text oder einem Buch in Gestalt einer Folge von Twitternachrichten. Eine große Chance sieht Maria Almana – sicher auch geprägt durch ihre eigene berufliche Tätigkeit im Lektorats- und Autorencoachingbereich – im Selfpublishing, das mehr Raum für Experimente lässt als klassische Verlagspublikationen.
Ihre Gedankenführung ist dabei nicht unbedingt stromlinienförmig, sondern eher assoziativ und mäandernd, mit Querverbindungen zu anderen Kapiteln, zu den Websites der Autorin und sogar Vorausverweisen auf noch gar nicht veröffentlichte Bücher (denn wie Maria Almana ankündigt, plant sie eine ganze Trilogie des Eigensinns, so dass irgendwann noch zwei Bände das vorliegende Werk ergänzen werden). Das ist bisweilen ungewohnt. Wer sich dennoch auf diese wirklich eigensinnige Herangehensweise einlässt und konzentriert liest, kann aber durchaus einige Denkanstöße aus Mein Kompass ist der Eigensinn mitnehmen und sich ermutigt fühlen, häufiger der eigenen Einschätzung zu vertrauen.
Maria Almana: Mein Kompass ist der Eigensinn. Grundlagen, Vorbilder & Nutzen. Ermutigung zum eigensinnigen Schreiben. Pulheim, edition texthandwerk (Tredition), 2019, 260 Seiten.
ISBN: 978-3-7497-6960-5 (e-Book; Taschenbuch: ISBN 978-3-7497-6958-2, Hardcover: ISBN 978-3-7497-6959-9)