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Träume in der Antike

Menschen träumen – das gilt für vergangene Jahrhunderte genauso wie für die heutige Zeit. Wie genau man in der Antike mit dem Phänomen Traum umging, zeigt die Altphilologin Marion Giebel in Träume in der Antike, einer kommentierten Sammlung von Quellen und literarischen Texten, die von den homerischen Epen bis zu Traumschilderungen der Spätantike zeitlich gut ein Jahrtausend abdecken.
Geordnet sind die einzelnen Beispiele jedoch nicht chronologisch, sondern in thematischen Gruppen. Das erste Kapitel nimmt Traumerzählungen aus Epos, Tragödie und Roman in den Blick und zeigt auf, wie antike Autoren von Homer über Vergil bis hin zu Apuleius ihre Figuren träumen ließen. Hier werden im fiktiven Kontext schon all die Funktionen fassbar, die Träume bzw. ihre Wiedergabe auch im realen Leben übernehmen konnten: Wie der zweite Abschnitt Die Träume der Mächtigen beweist, wurden tatsächliche oder nur vorgebliche Träume als Motivation für bestimmte Handlungen, als Vorzeichen oder als Reaktion auf Geschehnisse oft entweder propagandistisch ausgeschlachtet oder aber im Nachhinein zur Deutung historischer Vorgänge herangezogen. Die Quellen lassen erkennen, dass die Interpretation dabei durchaus von Person zu Person schwanken konnte. Während eher skeptische Zeitgenossen eine recht modern anmutende psychologische Perspektive einnahmen und Träume nur als unbewusste Verarbeitung dessen verstanden, was die Schlafenden im Wachzustand beschäftigt hatte, glaubten andere an das Wirken höherer Mächte.
Letztere Annahme steht im Kapitel Weisungen und Aufträge im Traum im Mittelpunkt, in dem sowohl pagane Gottheiten als auch der christliche Gott den träumenden Gläubigen Hinweise oder direkte Befehle zukommen lassen, die sie tunlichst befolgen sollten, um unangenehme Konsequenzen zu vermeiden.
Eine spezifische Form solcher Träume waren die in einem eigenen Abschnitt behandelten Heilträume, in denen insbesondere der Heilgott Asklepios in Erscheinung trat, was man in manchen Fällen durch ein Schlafen im Tempel gezielt herbeizuführen versuchte, um die Behebung eines Leidens zu forcieren.
Das fünfte Kapitel Literarisch ausgestaltete Traumerzählungen schlägt nicht etwa den Bogen zum Anfang des Buchs zurück, sondern betrachtet Träume im Kontext biographischen und autobiographischen Schreibens. Eine letzte Textgattung der Antike, die sich mit Träumen befasste, waren Sachbücher zum Thema, die Giebel in Form von Auszügen Aus der Traumkunst des Artemidor präsentiert. Artemidors Traumdeutungen sind aus heutiger Sicht insofern interessant, als er zwar von einer Zeichenhaftigkeit von Träumen ausging, aber zugleich bereits bestimmte psychologische Mechanismen erkannte.
Alle Texte sind zweisprachig im griechischen bzw. lateinischen Original und in Übersetzung enthalten. Die Übertragung ins Deutsche stammt in vielen Fällen von Giebel selbst, ist manchmal aber auch aus älteren Ausgaben übernommen. Neben einer allgemeinen Einleitung stellt die Herausgeberin auch kurze einführende Texte zu jedem einzelnen Traumbeispiel bereit, die eine (mentalitäts-)historische Einordnung erlauben.
Der Charme des kleinen Buchs besteht aber nicht zuletzt auch darin, dass neben der antiken Lebenswelt, die in den Details der Träume aufscheint, immer wieder auch eine allgemein menschliche Komponente fassbar wird, die auch über die Distanz der Jahrtausende hinweg einen unmittelbaren Zugang zu damaligen Erfahrungen eröffnet. Krankheiten, berufliche wie private Hoffnungen, aber auch Sorgen, Angst und Reue sind trotz aller kultur- und epochenspezifischen Unterschiede heute noch nachvollziehbar, und dass einem im Traum neben Personen und Gegenständen aus dem eigenen Alltag manchmal auch Verrücktes und im wahren Leben Unmögliches erscheint, dürfte jeder schon selbst erlebt haben. So bieten die Träume in der Antike nicht nur eine anregende und geschichtlich interessante Lektüre, sondern auch eine, bei der man sich berühmten wie unbekannten Menschen des Altertums punktuell sehr nahe fühlen kann.

Marion Giebel (Hrsg.): Träume in der Antike. Griechisch / Deutsch, Lateinisch / Deutsch. Stuttgart, Reclam, 2006, 256 Seiten.
ISBN: 978-3150183953


Genre: Geschichte, Kunst und Kultur

Cicero

Über Cicero (106-43 v.Chr.) ist viel geschrieben worden – auch und vor allem, weil er selbst außergewöhnlich viel geschrieben hat. Neben seinen Reden und philosophischen Texten sind auch unzählige seiner Briefe überliefert, so dass wir heute besser über ihn informiert sind als über die meisten anderen Menschen der Römischen Republik. Nicht nur über seine Karriere als Anwalt, seine politische Laufbahn mit allen Höhepunkten und Niederlagen (bis hin zur Verbannung) und über seine Ermordung lassen sich Aussagen treffen, sondern auch über sein Privatleben, von seinen beiden gescheiterten Ehen über das Verhältnis zu seinen Kindern bis hin zu seinen Freundschaften, Vorlieben und Abneigungen. So entsteht das Bild eines Mannes, der sich zwar einerseits durch ein unverhohlenes Geltungsbedürfnis auszeichnete und nach öffentlicher Anerkennung gierte, andererseits aber auch unerwartet tiefgründig, sensibel und humorvoll sein konnte.
Diese Persönlichkeit in all ihren Facetten auf nur gut 170 Seiten einzufangen und in den historischen Kontext einzubetten, erscheint auf den ersten Blick wie eine fast unlösbare Aufgabe. Der Altphilologin Marion Giebel ist das Kunststück dennoch bravourös geglückt, so dass es nicht überrascht, dass ihr Cicero über 30 Jahre nach seinem Erscheinen in einer überarbeiteten Neuauflage noch einmal herausgebracht worden ist. Kenntnisreich stellt sie nicht nur den Lebensweg ihres Protagonisten und sein literarisches Œuvre vor, sondern schlaglichtartig auch die Cicero-Rezeption von der Antike bis in die heutige Zeit. Ihre Lebendigkeit und Unmittelbarkeit gewinnt die Darstellung dabei vor allem aus der Fülle klug ausgewählter Zitate, die überwiegend in der modernen Übersetzung der Verfasserin, in besonders wichtigen Fällen aber auch zweisprachig einschließlich des lateinischen Originals wiedergegeben sind.
So entfaltet sich ein um Cicero als zentrale Person herumkomponiertes knappes Panorama der Geistesgeschichte und politischen Entwicklung der späten Römischen Republik. In ihrer Interpretation der historischen Vorgänge entwickelt Giebel dabei originelle, aber schlüssig begründete Thesen, so z.B. bei ihrer Deutung der Catilinarischen Verschwörung, an der sie Caesar und Crassus aktiver beteiligt sieht, als sonst zumeist angenommen wird.
Ciceros Eintreten für die Hinrichtung prominenter Catilinarier ist sicher einer der dunkelsten Aspekte seines Wirkens. Giebel warnt dennoch davor, diesen drastischen Schritt als Indiz für einen heillos konservativen Cicero zu sehen, der sich mit allen Mitteln an sein politisches Ideal der concordia ordinum – des einträchtigen Zusammenwirkens unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten zum Wohle des Staates – klammerte und sozialreformerischen Tendenzen einen Riegel vorschieben wollte. Vielmehr unterstreicht sie, dass die wahrscheinliche Alternative zum bestehenden System nicht etwa eine gerechtere und freiere Staatsform gewesen wäre, sondern die Dominanz eines machtbewussten Einzelnen, wie sie bald darauf unter Caesar und endgültig unter Augustus durchgesetzt wurde.
Vor diesem Hintergrund erscheint Cicero plötzlich nicht mehr als unkritischer Befürworter einer veralteten Senatsherrschaft, sondern als Kämpfer für den Erhalt einer Republik, die zwar mängelbehaftet, aber immerhin nach den Maßstäben der damaligen Zeit demokratisch war – eine Bewertung, wie sie unter etwas anderer Schwerpunktsetzung auch Wolfgang Schuller in seinem Cicero oder der letzte Kampf um die Republik vorschlägt. Gerade angesichts der heutigen weltpolitischen Situation, in der vielerorts wieder der kurzsichtige Ruf nach einem starken Mann laut wird, der die Verhältnisse ändern soll, ist dieser Aspekt sehr bedenkenswert.
Abgerundet wird das Bändchen durch zahlreiche Abbildungen. Neben einzelnen Schauplätzen von Ciceros Leben und antiken Porträts ist auch die Rezeptionsgeschichte reich vertreten, wobei manch eine ahistorische Cicero-Darstellung aus Mittelalter und früher Neuzeit einen zum Schmunzeln bringen kann (insbesondere der sich den langen Bart raufende Cicero aus dem Chorgestühl des Ulmer Münsters).
Doch Cicero ist eben nicht nur spannend und unterhaltsam geschrieben, sondern auch voller Denkanstöße, und so kann die Lektüre uneingeschränkt allen empfohlen werden, die einen ersten Zugang zu dem berühmten Redner suchen oder vorhandene Kenntnisse auffrischen wollen.

Marion Giebel: Cicero. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt, überarbeitete Neuausgabe 2013 (Original: 1977), 174 Seiten.
ISBN: 9783499507274


Genre: Biographie