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Der Donnerstagsmordclub

Dank ihrer gut verdienenden Tochter kann die ehemalige Krankenschwester Joyce es sich leisten, in der edlen Seniorenwohnanlage Coopers Chase im ländlichen Kent unterzukommen. Unerwartet wird sie dort in den sogenannten Donnerstagsmordclub hineingezogen, in dem die frühere Agentin Elizabeth, der nur so halb im Ruhestand befindliche Psychiater Ibrahim und der immer noch streitbare einstige Gewerkschaftsführer Ron zum Vergnügen versuchen, ungeklärte Mordfälle zu lösen. Gewöhnlich greifen sie dabei auf alte Akten zurück, die Elizabeths Freundin Penny, die einmal Polizistin war, nun aber längst im an Coopers Chase angrenzenden Pflegeheim dahinvegetiert, nicht ganz legal beschafft hat. Dann aber geschieht gewissermaßen vor der Haustür ein neuer Mord, und das Quartett kann natürlich nicht widerstehen, seinen detektivischen Spürsinn in der Praxis zu erproben. Dass man sich mit der jungen Polizistin Donna angefreundet hat, als sie in Coopers Chase war, um einen Vortrag zu halten, kann da ja nicht schaden. Doch obwohl alles zunächst recht vergnüglich beginnt, bleibt es nicht bei einer einzigen Leiche, und bald müssen die vier sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass auch Personen aus ihrem engsten Umfeld Motive gehabt haben könnten, die Taten zu begehen …

Die Idee wacker ermittelnder Privatpersonen vorgerückten Alters, die nicht zuletzt auch dank ihrer Lebenserfahrung und ihres unkonventionellen Blicks auf die Welt der Polizei immer einen Schritt voraus sind, ist spätestens seit Agatha Christies Miss Marple nichts Neues mehr, aber Richard Osman setzt sie in seinem Donnerstagsmordclub mit viel Esprit und Humor um. Die Übersetzung von Sabine Roth fängt die pointierten Formulierungen, die den Charme des Buchs ausmachen, gekonnt ein. Die im Präsens gehaltenen personal erzählten Passagen aus unterschiedlichen Perspektiven, in denen auch mit nur in einem Schriftmedium möglichen Tricks gearbeitet wird (wenn z. B. bei einem Dialog lange offen bleibt, welchem Gesprächspartner die Äußerungen jeweils zuzuordnen sind), wechseln immer wieder mit Einträgen aus Joyce‘ Tagebuch. Obwohl sie es faustdick hinter den Ohren hat, übernimmt Joyce zunächst im gewissen Maße die Watson-Rolle an der Seite ihrer erfahreneren Detektivkollegen, unter denen sich insbesondere die mit allen Wassern gewaschene Elizabeth oft als unerwartet gut vernetzt und jedem Problem gewachsen entpuppt.

Nicht nur hinsichtlich der Leichtigkeit, mit der ihr und den anderen deshalb auch Unwahrscheinliches glückt, ist Realismus nicht gerade die größte Stärke des Romans. Dass es zu mancher Plotentwicklung hart an der Grenze der Glaubwürdigkeit eher deshalb kommt, weil die Handlung oder das Lesevergnügen es so erfordern, und nicht, weil sie sich unbedingt überzeugend aus dem bisher Geschilderten ergibt, muss man also hinnehmen. Das gilt auch für den Umstand, dass auffällig viele Leute hier eine Leiche im Keller (oder nicht unbedingt dort, aber doch eben eine Leiche) haben und diese Geheimnisse mehr tragische Verstrickungen nach sich ziehen, als der ursprüngliche Kriminalfall sie eigentlich gebraucht hätte.

Denn für einen auf den ersten Blick witzigen und leichtfüßigen Unterhaltungsroman werden hier durchaus Themen angeschnitten, die ziemlich starker Tobak sind, von Pflegebedürftigkeit, Demenz und Sterbehilfe bis hin zu mehreren Selbstmorden aus unterschiedlichen Gründen (so dass die Anzahl der durch Suizid Umgekommenen am Ende fast mit der von anderen Umgebrachter mithalten kann). Selbst Elizabeth, die sonst schier alles bewirken zu können scheint, steht dem fortschreitenden Verfall ihres Mannes und ihrer besten Freundin Penny hilflos gegenüber, und einige Geschichten gehen trauriger aus, als sie es zwingend müssten. In einem ausschließlich todernsten Buch wäre all das in dieser Fülle wohl schwer bis gar nicht erträglich, aber der Grundton bleibt über weite Strecken heiter, wenn auch manchmal bissig, und in einzelnen Nebenhandlungen überwiegt die Komik. So kann man sich z. B. darüber amüsieren, wie Donna daran geht, das auf den Hund gekommene (Liebes-)Leben ihres unglücklichen Vorgesetzten Chris gehörig auf Vordermann zu bringen, während sie ihre eigenen Baustellen diesbezüglich vernachlässigt.

Auch abgesehen davon kann man an den etwas überzeichneten Charakteren seinen Spaß haben, ob nun an dem dauerpolternden Ron, der immer noch gern auf die Barrikaden geht und auch jeden Anlass dazu nutzt, dem kultivierten Ibrahim, der alles bis auf seine eigene Eitelkeit präzise zu analysieren vermag, oder der nur scheinbar dauerunverdrossenen Joyce, die ebenso viele Kuchenrezepte wie kluge Beobachtungen parat hat. Kein Wunder also, dass der Roman sich erfolgreich verkauft und mit Der Mann, der zweimal starb, schon ein Folgeband auf dem Markt ist. Wenn man sie nicht allzu ernst nimmt und es gelassen sieht, dass die Hand des Autors oft überdeutlich mit im Spiel ist, kann man sicher gut auf weitere Abenteuer des Donnerstagsmordclubs einlassen.

Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub. 12. Aufl. Berlin, List (Ullstein), 2021, 464 Seiten.
ISBN: 978-3-471-36014-9


Genre: Roman