Die vielen Waldbücher, die insbesondere im Gefolge der literarischen Erfolge des Försters Peter Wohlleben in den letzten Jahren erschienen sind, haben in aller Regel eine naturkundliche Ausrichtung, ganz gleich, ob es nun eher um biologische Fakten oder um Tipps zur Freizeitgestaltung geht. Eine völlig andere Herangehensweise wählt dagegen Rita Mielke mit Im Wald, denn die – so der Untertitel – Wortwanderung durch die Natur nähert sich dem Wald aus sprachlicher und mentalitätshistorischer Perspektive.
Allen möglichen Begriffen, die mit dem Wald in Verbindung stehen, ist jeweils ein Kapitel gewidmet, das nicht nur die mit dem entsprechenden Wort am häufigsten verbundenen Assoziationen aufführt, sondern auch eine kurze Kulturgeschichte des menschlichen Blicks auf das Bezeichnete skizziert. Etymologie, Aberglaube, symbolische Zuschreibungen und religiöse Signifikanz finden hier ebenso ihren Platz wie zahlreiche Zitate aus literarischen Werken von der Antike bis in die heutige Zeit. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Europa, aber punktuell wird auch auf andere geographische Räume verwiesen.
Dabei begegnen die Leserinnen und Leser nicht nur den Bäumen selbst, aus denen der Wald besteht – ob nun Buche, Eiche oder Tanne -, sondern auch anderen Pflanzen wie der Mistel und zahlreichen tierischen Waldbewohnern wie Ameise, Eichhörnchen, Fuchs, Reh oder Specht. Daneben werden aber auch abstrakte Konzepte wie Einsamkeit behandelt, und auch Gestalten wie Hexe und Waldgeister, denen in Märchen und Geschichten gern ein Aufenthalt im Wald nachgesagt wird, haben ihren Auftritt.
Zwar kommt auch die ganz reale Waldnutzung durch den Menschen zur Sprache (z.B. wenn erwähnt wird, dass Fichtenholz oft zum Instrumentenbau verwendet wird), aber der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Vorstellungswelten, die der Wald heraufbeschwört. Vielfach fällt dabei auf, dass die menschliche Sicht insbesondere auf Tiere von Epoche zu Epoche schwankt und teilweise bis heute ambivalent bleibt: So wird der Wolf einerseits als bedrohlich und dämonisch (bis hin zum Phänomen des Werwolfs) geschildert, taucht andererseits aber schon früh auch in positiver Rolle auf (z.B. bei der Wölfin, die laut römischer Sage Romulus und Remus säugt). Auch die Eule als vermeintliches Hexentier einerseits und Sinnbild der Weisheit andererseits ist hier einzuordnen.
Besondere Erwähnung verdient die gelungene Buchgestaltung. Nicht nur die realistischen Tier- und Pflanzenillustrationen von Hanna Zeckau, sondern auch nette Details wie die kleinen Blätter, die jeweils eingangs des Kapitels das zum Begriff gehörende Wortassoziationsfeld markieren, machen Im Wald zu einem sehr hübschen Bändchen, das sich auch gut als Geschenk eignen dürfte.
Negativ fällt nur auf, dass die zu den Zitaten jeweils genannten Jahreszahlen im Einzelfall fehlerhaft zu sein scheinen (z.B. kann ein Werk des 1655 verstorbenen Friedrich von Logau wohl kaum 1872 – so die Angabe hier auf S. 26 – entstanden sein). Hier wäre ein gründlicheres Korrekturlesen wünschenswert gewesen.
Abgesehen davon ist Im Wald jedoch ein rundum empfehlenswerter kleiner Spaziergang durch die mit der heimischen Natur verknüpften Begriffs- und Vorstellungswelten, der eine ebenso vergnügliche wie lehrreiche Lektüre bildet.
Rita Mielke: Im Wald. Eine Wortwanderung durch die Natur. Mit Illustrationen von Hanna Zeckau. Berlin, Duden, 2019, 160 Seiten.
ISBN: 978-3411742585