Mit seinem Tagebuch eines Buchhändlers bietet Shaun Bythell genau das, was der Titel verspricht: eine nach Tagen gegliederte Schilderung seiner Aktivitäten in seinem Buchantiquariat im schottischen Wigtown im Jahreslauf zwischen dem 5. Februar 2014 und dem 4. Februar 2015. Jeder Monat wird dabei von einem Zitat aus George Orwells Erinnerungen an eine Buchhandlung eingeleitet, das als Anknüpfungspunkt für allgemeine Betrachtungen über das Buchhändlerdasein dient, bevor die in ihrer Länge stark wechselnden Berichte über die einzelnen Tage folgen. Seinen Charme gewinnt das Buch dabei vor allem daraus, dass sich aus der Fülle der Einzelereignisse auch die fortlaufenden Geschichten eines ganzen wiederkehrenden Figurenensembles herauskristallisieren: Von der exzentrischen Mitarbeiterin, die Bücher nach ihren ganz eigenen Kriterien in die nach Themengebieten geordneten Regale einsortiert, über Stammkunden, Nachbarn und Bekannte bis hin zur Buchhandlungskatze Captain sind viele Personen präzise und amüsant charakterisiert, so dass es Spaß macht, ihre Abenteuer zu verfolgen und auf ihr nächstes Auftauchen zu warten. Neben dem Tagesgeschäft im Antiquariat spielen auch immer wieder Buchankäufe, lokale Großereignisse wie das jährliche Bücherfestival und private Unternehmungen des Autors – ob nun Angelausflüge oder Leseinteressen abseits des Berufs – eine entscheidende Rolle. In der gelungenen Übersetzung von Mechthild Barth liest sich all das so flüssig und unterhaltsam, dass man schnell mehr Seiten verschlungen hat, als man selbst bemerkt.
Bei allem oft bissigen Humor ist allerdings der Grundton nicht sonderlich hoffnungsvoll: Wie andere unabhängige Buchhandlungen auch hat Bythells Laden seit Jahren unter der Konkurrenz durch den Onlineversand und den damit einhergehenden Wandel im Kauf- und Leseverhalten zu leiden, und sein Ärger darüber zieht sich wie ein roter Faden durch fast alle Kapitel, obwohl er ohne die verhasste Internetkonkurrenz als Verkaufsplattform selbst nicht mehr auskommt. Seine Wut lässt ihn sogar irgendwann auf einen Kindle schießen und daraus ein schräges Kunstprojekt machen (ein Bild davon ist übrigens im Buch vorhanden).
Aber es liegt nicht vorrangig an den mit so viel Engagement angeprangerten Schwierigkeiten der Branche, dass sich im Lauf der Lektüre ein gewisses Unbehagen einstellt. Bythell erwartet viel Verständnis für seine wirtschaftlich alles andere als beneidenswerte Lage und den Arbeitsaufwand, den das Betreiben eines unabhängigen Antiquariats bedeutet. Umgekehrt sind seine Kommentare über andere Menschen jedoch ein wenig zu oft von Selbstgerechtigkeit und Häme geprägt. In vielen Fällen übt er zwar berechtigte Kritik an Fehlverhalten, doch in anderen Situationen beschleicht einen unweigerlich der Eindruck, dass mit ihm oder zumindest mit seiner in welchem Maße auch immer fiktionalisierten Erzählerfigur nicht unbedingt der netteste Buchhändler aller Zeiten von den unleugbaren Problemen betroffen ist.
Trotz dieses kleinen Wermutstropfens bietet Bythells literarisch aufbereitetes Buchhändlerjahr einen wertvollen Einblick in eine Welt, die man als Leserin oder Leser sonst nur von außen zu sehen bekommt, und vermittelt auch überzeugend etwas von der partiellen Entzauberung, die unweigerlich damit einhergeht, wenn man seine Bücherleidenschaft in irgendeiner Form zum Beruf macht. Lesenswert ist das Tagebuch eines Buchhändlers deshalb auf jeden Fall.
Shaun Bythell: Tagebuch eines Buchhändlers. München, btb, 2019, 448 Seiten.
ISBN: 978-3442718658