Stephan Orth fasst einen kühnen Plan: Im Pandemiesommer 2021 will er von London bis Newcastle durch ganz England reisen, aber so, dass er – von wenigen, eng umrissenen Ausnahmen abgesehen – weder einen Innenraum betritt noch Autos oder öffentliche Verkehrsmittel nutzt. Mit der Erkenntnis, dass es gar nicht so einfach ist, zu Fuß einen Flughafen zu verlassen, beginnt deshalb ein wilder Trip mit Camping in Gärten und am Straßenrand, der oft schwierigen Suche nach einer öffentlichen Toilette oder einer Essgelegenheit und allerlei weiteren zu bewältigenden Tücken. Ob es unter diesen erschwerten Bedingungen glücken kann, die schon fest gebuchte Fähre, die fünf Wochen nach Reisebeginn von Newcastle aus ablegen soll, zu erreichen?
Reiseberichte kennt man von Stephan Orth, ob nun in Form seiner beliebten Couchsurfing-Reihe oder als Expeditionsschilderung in Opas Eisberg. Während es sonst aber meist in aus mitteleuropäischer Sicht ferne und aufregende Gegenden von Grönland über Saudi-Arabien bis China geht, steht diesmal mit England ein eher nahes und scheinbar recht gut bekanntes Ziel im Mittelpunkt. Dass dabei dennoch das wohl bisher abgefahrenste Buch aus Orths Feder herausgekommen ist, liegt an der besonderen Situation einer Reise unter den Bedingungen der Corona-Pandemie und selbstgesetzter Vorgaben. Zwar sind in England im August 2021, als Orth dort eintrifft, die Bestimmungen im Vergleich zur Situation in Deutschland schon relativ locker, aber im Hintergrund ist die Seuche natürlich immer präsent.
Dass das Buch trotzdem eher amüsant und erhellend als beklemmend gerät, liegt an Orths unnachahmlicher Mischung aus Entdeckerfreude und Sprachwitz. Obwohl man selbst wahrscheinlich nicht in Versuchung gerät, die überlange Zelttour nachmachen zu wollen, die nur sehr begrenzte Möglichkeiten der Körperhygiene bietet und über weite Strecken auf einem doch äußerst speziellen Fahrrad bestritten wird, kann man an vielen Stellen herzlich lachen und lernt nebenbei ein England kennen, das so in den meisten Reiseführern nicht vorkommt.
Dabei werden auch durchaus ernste Themen wie Klimawandel und Rassismus angeschnitten, aber von Landschaft bis Streetart entdeckt Stephan Orth auch vieles, das schön und eindrucksvoll ist. Eingestreut in den Text sind immer wieder gesondert hervorgehobene Outdoor-Tipps für alle, die auch einmal abseits ausgetretener Touristenpfade wandeln wollen (obwohl – wie gesagt – den meisten eine weniger extreme Variante des Zivilisationsverzichts liegen dürfte, als sie hier teilweise praktiziert wird).
Wie schon in den Couchsurfing-Büchern sind es aber auch und vor allem die Begegnungen mit Menschen, von denen Absolutely ausgesperrt lebt. Stephan Orth trifft alle möglichen interessanten und sympathischen Leute, aber auch einige ziemlich seltsame Typen, ob nur kurz unterwegs oder zu längeren Gesprächen (teils samt Stadtführung oder Übernachtung auf einem Privatgrundstück). Die Vielfalt der englischen Gesellschaft – vom selbst schon weitgereisten Einwanderer über die Selbstversorger-Kommune bis hin zum ausländerfeindlichen Brexit-Befürworter – wird so zumindest schlaglichtartig fassbar.
Auch wenn man sich die ganze Zeit über fragt, ob die Schnapsidee zu Absolutely ausgesperrt nicht letztlich eine Notlösung gewesen sein könnte, weil Stephan Orths eigentliches Erfolgsmodell der Erkundung eines mehr oder minder exotischen Landes in Pandemiezeiten schlicht nicht umzusetzen war, ist das Buch also durchaus lesenswert und dank des leichten und amüsanten Stils auch schnell verschlungen.
Stephan Orth: Absolutely ausgesperrt. Wie ich 700 Kilometer durch England reiste und immer draußen blieb. München, Malik (Piper), 2022, 224 Seiten.
ISBN: 978-3-89029-567-1