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Domnall and the Borrowed Child

Ein verheerender übernatürlicher Krieg und die immer weiter fortschreitende Vereinnahmung des Landes durch die Menschen haben die schottischen Feen dezimiert. Der Invalide Domnall ist des eingeschränkten Daseins, das ihm und seinem Volk noch bleibt, eigentlich überdrüssig, doch als eines der wenigen Feenkinder schwer erkrankt, ist er gefordert. Helfen kann hier nur menschliche Muttermilch, die für Feen ein Allheilmittel darstellt, und dem erfahrenen Kundschafter Domnall fällt es zu, Wechselbalg und Menschenkind gegeneinander zu vertauschen. Doch was ihm in der Vergangenheit oft geglückt ist, nimmt einen unerwarteten Verlauf, und schon bald beschränken Domnalls Schwierigkeiten sich nicht mehr darauf, wenig hilfsbereite Schafe zu melken oder die Abenteuerlust seiner Schülerin Micol zu zügeln, sondern nehmen lebensgefährliche Dimensionen an …
Man merkt der kleinen Erzählung Domnall and the Borrowed Child im gewissen Maße an, dass Sylvia Spruck Wrigley ansonsten eher Kurzgeschichtenspezialistin ist: Für einen längeren Text geht es fast zu geradlinig voran. Ein paar zusätzliche Umwege und unerwartete Wendungen hätten dem Plot vielleicht ganz gut getan, der sich nie weit vom roten Faden der Beschaffung der heilenden Muttermilch entfernt.
Dennoch lohnt sich die Lektüre allein schon aufgrund des gebrochenen kauzigen Helden, der mit derben Späßen und kreativen Problemlösungsansätzen sich selbst und die Leserschaft immer nur phasenweise darüber hinwegtäuschen kann, dass er eigentlich an Leib und Seele leidet. In seinem Verhältnis zu der begeisterungsfähigen Micol schwankt er glaubhaft zwischen widerwillig übernommener Mentorenrolle, Freundschaft und vielleicht noch mehr.
Davon abgesehen lebt Domnall and the Borrowed Child vor allem von der originellen Idee, die eher düsteren Aspekte der Feen des Volksglaubens (wie Kindesentführungen und die Bezauberung von Menschen) einmal aus der Sicht der Täter zu schildern und zu begründen, so dass manches, was aus menschlicher Perspektive wie willkürliche Bosheit wirken muss, plötzlich als bittere Notwendigkeit erscheint.
Ohnehin ist das Feenleben charmant und mit Liebe zum Detail ausgemalt und vereint Fremdartiges und leicht Unheimliches gekonnt mit eher niedlichen und vergnüglichen Elementen. Dabei kommt Spruck Wrigley ihr Talent zugute, mit knappen Mitteln sehr atmosphärische Schilderungen aufs Papier zu zaubern. Ganz gleich, ob ein Schaf gemolken, ein Dach erklettert, eine Wanderung durch die Wildnis unternommen oder eine Browniehöhle aufgesucht wird, die zugehörigen Sinneseindrücke werden greifbar und überzeugend heraufbeschworen.
Die Menschenwelt, mit der die Feen immer wieder konfrontiert sind, bleibt allerdings in ihrer zeitlichen Einordnung widersprüchlich und lässt sich allenfalls auf ein diffuses „Früher“ eingrenzen. Während manche Indizien (Baumwollkleidung bei der einfachen Bevölkerung und wuchernde Städte) auf die Industrialisierung zu verweisen scheinen, haben die Highland Clearances offenbar noch nicht stattgefunden (da die Feen die zunehmende Zersiedlung des Hochlands beklagen), und ein Wolfsangriff und der Rat an eine unverheiratete Mutter, ins Kloster zu gehen, lassen gar an noch ältere Epochen denken.
Doch vielleicht sollte man sich darüber gar keine großen Gedanken machen, denn in ihrer Märchenhaftigkeit ist die Geschichte letzten Endes zeitlos und bedarf keiner exakten historischen Verortung, um sich flott und unterhaltsam zu lesen.
Am Ende bleibt man allerdings beinahe mit dem Eindruck zurück, nur die Einleitung zu einem längeren Werk verschlungen zu haben. Die Episode aus dem Feenalltag ist abgeschlossen, die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten sind entworfen und einige interessante Charaktere etabliert, aber nun wünscht man diesen eigentlich, manch offene Frage noch befriedigend klären und ein größeres Abenteuer erleben zu dürfen. Für eine Fortsetzung sind auf alle Fälle genügend Anknüpfungspunkte vorhanden, und man kann nur hoffen, dass Sylvia Spruck Wrigley den nötigen Erfolg hat, um ihr kleines Buch zur Serie auszubauen – denn das Potential dazu haben Domnall und seine Freunde allemal.

Sylvia Spruck Wrigley: Domnall and the Borrowed Child. New York, Tor, 2015, 110 Seiten.
ISBN: 9780765385314


Genre: Roman