Attila. Der Schrecken der Welt

Von allen Herrschergestalten der Völkerwanderungszeit hat sich Attila bis heute den größten Bekanntheitsgrad bewahrt. Ob als Etzel des Nibelungenlieds oder als archetypischer barbarischer Eroberer, mit dessen Schandtaten die moderner Politiker und Militärs verglichen werden – in irgendeiner Gestalt ist er wohl jedem schon einmal begegnet. Mit diesen heutigen Erinnerungen an Attila und seine Hunnen setzt Klaus Rosen dementsprechend auch ein, um sich erst dann der historischen Persönlichkeit und ihrem Umfeld zuzuwenden.
Obwohl das Buch auf dem Umschlag als „Biographie“ beworben wird, sollte man den Begriff nicht allzu eng auslegen. Für den einer schriftlosen Kultur entstammenden Attila ist die Quellenbasis naturgemäß schmaler als für Zeitgenossen wie etwa Augustinus, die auch umfangreiche Selbstzeugnisse hinterlassen konnten, und zudem durch die Perspektive seiner Gegner geprägt. So wäre es vielleicht treffender, hier von einer Geschichte der Hunnen unter besonderer Berücksichtigung ihres berühmtesten Königs zu sprechen.
Über dessen Kindheit und Jugend ist kaum etwas bekannt. Aus dem Dunkel der Geschichte trat er erst hervor, als er gemeinsam mit seinem älteren Bruder Bleda im Jahre 434 als Nachfolger seines Onkels Rua die Herrschaft über die Hunnen übernahm und durch die Hinrichtung missliebiger Verwandter gleich bewies, dass mit ihm nicht zu spaßen war.
Diese Skrupellosigkeit sollte auch weiterhin für ihn charakteristisch bleiben: Durch die Ermordung Bledas zum Alleinherrscher aufgestiegen, vermochte er die hunnische Vorherrschaft im Karpatenbecken dank militärischer Erfolge, ungleicher Bündnisse und einer polygamen Heiratspolitik zu einem wahren Vielvölkerreich auszubauen, dem er allerdings nie eine über die Gefolgschaftsbindung an seine Person hinausgehende Struktur verleihen konnte oder wollte. Lange Zeit als Anführer von Raubzügen gegen das in Ost und West zerfallene Römische Reich gefürchtet, agierte er ausgerechnet bei den Unternehmungen, die seinen Ruf als „Schrecken der Welt“ zementieren sollten, eher glücklos: dem Einfall nach Gallien, der in der berühmten Schlacht auf den Katalaunischen Feldern 451 mit einer Niederlage für ihn endete, und dem nach anfänglichen Siegen abgebrochenen Angriff auf Italien unmittelbar danach.
Diese Misserfolge durch einen Feldzug gegen Ostrom wieder wettzumachen, gelang ihm nicht mehr, da er in seiner letzten Hochzeitsnacht 453 eines plötzlichen, wenn auch natürlichen Todes starb. Seinen Söhnen war es nicht vergönnt, sich die von ihm angehäufte Machtfülle zu erhalten, so dass sein Ende zugleich auch den Beginn des Absinkens der Hunnen in die politische Bedeutungslosigkeit einläutete.
Eingebettet ist diese Lebensschilderung in überzeugende Analysen der spätantiken Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten. Vom Römischen Reich, das – so der Autor pointiert – den an seiner Peripherie Lebenden als „Vorratskammer mit Selbstbedienung“ erschien, versuchten viele in irgendeiner Form zu profitieren, doch für diejenigen, die z.B. als Foederaten eine Einbindung in seine Ordnungssysteme erfuhren, waren die Aussichten auf langfristig stabile Verhältnisse deutlich größer als für einen extrem durch personale Herrschaft und das Charisma Einzelner geprägten Verband wie die Hunnen.
Es ist ein Glücksfall, dass dieses so spannende Thema hier eine besonders mitreißende und angenehm zu lesende Umsetzung erfährt. Klaus Rosen verfügt bei aller Quellenkritik und gebotenen Distanz zum Gegenstand über eine Fähigkeit, die vielen anderen Historikern leider fehlt: Er ist ein hervorragender Erzähler, der aus Geschichte zugleich eine Geschichte zu machen versteht. Gerade an den Stellen, an denen er dem Bericht des Priscus über eine oströmische Gesandtschaft zu Attila folgt, ist man fast wie bei einem Roman mitten im Geschehen. Auch wenn man – bei bekannten historischen Ereignissen unvermeidlich – im Voraus weiß, wie sich alles entwickeln wird, ertappt man sich oft dabei, gebannt weiterzulesen und die schöne Lektüre nicht aus der Hand legen zu wollen.
So ist Attila. Der Schrecken der Welt am Ende vor allem eines: ein Buch, das einem ins Gedächtnis ruft, was für ein wunderbares Abenteuer Geschichte sein kann.

Klaus Rosen: Attila. Der Schrecken der Welt. München, C. H. Beck, 2016, 320 Seiten.
ISBN: 9783406690303


Genre: Biographie, Geschichte